Postkarte von Wiedenest aus dem Jahr 1925. Slg. Karl-Eberhard Stock

Der Bahnhof Wiedenest

 

Zur Erinnerung an die Entstehung, den Betrieb und den Untergang eines Dorfbahnhofes

 

Eine Dokumentation von Christoph Marschner

 

Teil 1

 

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war das obere Dörspetal noch eine einsame abgelegene Mittelgebirgslandschaft ohne direkte Verkehrswege. Außer der Wiedenester Kirche, die bereits aus dem 11. Jahrhundert stammt, gab es im gen Osten weiter werdenden Tal der Dörspe fünf kleine Siedlungsplätze, die im Wesentlichen aus einem oder zwei Höfen bestanden.

Diese Siedlungsplätze wurden "Bockemühle", "Bruchhausen", "Knollen", "Schlöten" und "Bohren" genannt. Zu den großen Handelsstraßen, die die sumpfigen, verkehrsfeindlichen Talauen mieden und die im Dörspetaler Raum über die benachbarten Bergkämme verliefen, hatten die Siedlungsplätze zwei Fahrwege.

 

1. Fahrweg durch die Kortemicke nach Bergneustadt mit Anschluss an die Handelsstraße vom

    Aggertal zum Siegerland

2. Fahrweg entlang der Talflanke durch das Pernzer Becken mit Anschluss an die Handelsstraße 

    von Meinerzhagen nach Olpe.

 

Erst in der Zeit von 1823 bis 1834 kam es zum Ausbau einer Chaussee von Cöln (damalige Schreibweise) nach Olpe, die zugleich die erste im Oberbergischen war, die nicht über die Bergkämme, sondern durch die Täler verlief und somit die vielen kleinen Ortschaften an Agger und Dörspe miteinander verband.

Diese neue, mit Schotter befestigte Straße schaffte die Voraussetzung dafür, dass sich in der Folgezeit weitere Siedler im oberen Dörspetal sesshaft machten.

 

Im Schutze der alten Höfe entstanden die ersten Wohnhäuser von Bauern, die zumeist halbe Tage in der Bergneustädter Textilindustrie beschäftigt waren. Der erste kleine Weiler mit fünf Häusern entwickelte sich um die beiden Höfe von Bruchhausen. In der Siedlung "Am Knollen" gab es zu dieser Zeit zwei Wohnhäuser und drei Häuser mit landwirtschaftlichen Einrichtungen.

 

Die fünf Siedlungskerne der Ortschaft Wiedenest:

 

1. Bockemühle,

2. Bruchhausen,

3. Am Knollen,

4. Am Schlöten,

5. Am Boren,

6. Die Kirche.

 

Die Kirche wurde außerhalb der eigentlichen Wiedenester Tallandschaft im Südwesten als Mittelpunktkirche der umliegenden Streusiedlungen im 11. Jahrhundert erbaut. Sie ist auch heute nicht in die Ortschaft einbezogen, sondern bildet zusammen mit den benachbarten Gebäuden (Küsterhaus, Pfarrhaus und Gemeindehaus) sowie mit dem Heiligen Brunnen und dem Friedhof einen eigenen Siedlungsteil.

Industriebetriebe gab es, abgesehen von kleinen Steinbrüchen oberhalb von Pernze, zu dieser Zeit nicht, da die heimische Eisenindustrie gegen Ende des 18. Jahrhunderts nicht mehr konkurrenzfähig und zusammengebrochen war. Nur ein bis dahin betriebener Eisenhammer war zu einer Getreide- und Sägemühle umgebaut worden, die noch bis ca. 1950 in Betrieb war.

 

Die Erfolge der ersten Eisenbahnen machte den Verantwortlichen in allen Teilen des Landes jedoch klar, dass es für die Industrie und die anderen Wirtschaftszweige zu einer Überlebensfrage wurde, in angemessener Weise an das Transportnetz der Eisenbahn angeschlossen zu werden.

Es gründeten sich überall so genannte Eisenbahn-Komitees, um Vorschläge und Planungen für weitere Eisenbahnstrecken zu erarbeiten und durchzusetzen.

Schon während der Planungen zur Ruhr-Sieg-Eisenbahn von Hagen nach Siegen bemühten sich die Städte Attendorn und Olpe um eine Trassenführung durch das Biggetal. Es scheiterte letztlich an den topographischen Verhältnissen, die eine solche Streckenführung sehr schwierig und teuer gemacht hätte. Stattdessen wurde die Strecke über Altenhundem und Kreuztal geführt.

Man gab aber nicht auf. Am 10. Juli 1861 trat in Olpe ein Komitee zusammen, um eine Stichstrecke von Finnentrop an der Ruhr-Sieg-Strecke über Attendorn nach Olpe zur Erschließung der Eisenindustrie im Biggetal zu beraten und voranzutreiben.

Ehe jedoch dieser Plan der Verwirklichung näher geführt wurde, traten neue und größere Projekte in den Vordergrund, darunter das Projekt einer Eisenbahn von Köln über Wipperfürth, Meinerzhagen und Attendorn nach Finnentrop und das Projekt einer Eisenbahn von Köln nach Kassel über Olpe.

 

Das erstere Projekt fand allerdings weder im Olper Komitee noch in Regierungskreisen die notwendige Förderung. Man versprach sich von der Linie Köln - Kassel mehr und dachte ebenfalls über eine Weiterführung der Biggetalbahn von Finnentrop über Olpe hinaus bis Betzdorf an der Köln-Gießener-Eisenbahn nach.

Auf Anregung des Hauptvorsitzenden des Köln-Kasseler-Komitees, Herrn Fabrikant Emil Engels aus Engelskirchen, fand am 25. Februar 1862 in Olpe eine Versammlung des Biggetal-Komitees statt, wo man sich schnell einig wurde, gemeinsam für dieses große Projekt einzutreten.

Entsprechende Versammlungen fanden dann auch in den übrigen Gemeinden, die von dieser Eisenbahn berührt werden sollten, statt.

Am 9. Januar 1863 wurde die Erlaubnis zur Vornahme der speziellen Vorarbeiten für eine Eisenbahnlinie (Köln)-Deutz - Bensberg - Eschbach - Immekeppel - Engelskirchen - Neustadt (Bergneustadt) - Olpe - Finnentrop - Eslohe - Meschede - Brilon - Arolsen - Kassel erteilt.

Ob die geplante Strecke den Weg durch das obere Dörspetal nehmen würde, stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest. Man hatte wegen des schwierigen Geländes im Bereich der Wasserscheide (Wegeringhausen) auch an eine Streckenführung durch das Othetal oder über Piene gedacht.

Mit Rücksicht auf die konkurrierenden Bestrebungen der Bergisch-Märkischen-Eisenbahn (BME), von der bereits bestehenden Strecke Düsseldorf - Dortmund in Hagen abzweigend eine Strecke entlang des oberen Ruhrtales nach Kassel zu bauen, wurde in Aussicht genommen, die Projekte (Düsseldorf) - Hagen - Meschede, Köln - Olpe - Meschede und Meschede - Kassel zu einem Projekt zu vereinigen. Bereits am 28. Februar 1863 teilte der Minister für Handel, Gewerbe und öffentliche Arbeiten mit, dass er von dem Projekt einer Eisenbahn von Köln über Olpe und von Düsseldorf durch das Ruhrtal nach Meschede und von dort über Arolsen nach Kassel mit Interesse zur Kenntnis genommen habe und dass er gerne bereit sei, den gestellten Konzessionsantrag nach Maßgabe der Vorschriften in Erwägung zu ziehen. Dabei verlangte der Minister einen genauen Kostenvoranschlag, die Vorlage eines zur Bestätigung geeigneten Gesellschaftsstatuts (damals gab es noch keine staatlichen Eisenbahnen) und den Nachweis erfolgter Bereitstellung des Anlagekapitals.

Ein Jahr später war die Angelegenheit so weit fortgeschritten, dass der Minister am 12. April 1864 erklärte: Die Genehmigung des Projekts ist in den nächsten Tagen zu erwarten. Die vom Komitee zu gründende Aktiengesellschaft hat bis zum 1. September des Jahres eine Kaution in Höhe von 1 Millionen Taler bei der preußischen Bank zu hinterlegen und zu garantieren, daß binnen 18 Monaten nach Erteilung der Konzession die Bauarbeiten begonnen und 40% des vorläufig auf 30 Millionen Taler zu bemessenden Anlagekapitals eingezahlt sein müssen.

So aussichtsvoll sich hiernach die Verhandlungen mit den Staatsbehörden gestaltet haben, so hinhaltend und zögernd verliefen die Verhandlungen mit den Geldmächten in Berlin, Brüssel und Paris, wobei auch die kriegerischen Verwicklungen und politischen Spannungen eine erschwerende Rolle spielten.

Eine dem Abschluss nahe Kombination deutscher, belgischer und französischer Bankhäuser scheiterte schließlich am Widerspruch der französischen Regierung. Trotz aller Bemühungen gelang es nicht, in der gegebenen Frist neue Geldquellen zu erschließen.

Man versuchte nun von allen Seiten eine Verlängerung der Frist zu erreichen und zu verhindern, dass die Bergisch-Märkische-Eisenbahn eine Konzession für die obere Ruhrtalbahn von Hagen nach Kassel erhielt, denn man war sich darüber im Klaren, dass dieses Projekt nur mit der Verbindung von Meschede zum Ruhrgebiet wirtschaftlich tragbar war.

 

Der unermüdliche und selbstlose Einsatz aller Beteiligten,  vor  allem  aber  dem Hauptvorsitzenden des Komitees Emil Engels, war schließlich vergebens. Die Finanzierung des Projekts gelang nicht und die BME erhielt noch im gleichen Jahr die Konzession für die Strecke Hagen - Meschede - Warburg - Kassel ohne auch nur das geringste Interesse für den Abschnitt Meschede - Olpe - Köln zu zeigen.

In der vorgenannten Konzessionsurkunde wurde die Bergisch-Märkische-Eisenbahn lediglich verpflichtet, so wörtlich: ...auf Verlangen des Staates eine Eisenbahn von Finnentrop nach Olpe und sobald es seitens des Staates für angemessen erachtet wird, auch eine Fortsetzung dieser Bahn über Olpe hinaus nach irgend einem mehr oder minder entfernten Punkt in der Richtung nach Köln oder zum Anschluß an eine nach Köln gehende Eisenbahn als Zweigbahn der Ruhr-Sieg- Eisenbahn auszuführen...

 

Was den zweiten Teil der Bedingung betrifft, so macht es den Umstand deutlich, dass man plötzlich kein schlüssiges Konzept mehr hatte und sich deshalb alle Wege offen ließ.

Zwischen Attendorn und Olpe war man froh, dass wenigstens die Stichbahn von Finnentrop nach Olpe in greifbare Nähe gerückt war und bemühte sich einerseits um einen schnellen Baubeginn und andererseits um eine Weiterführung über Rothemühle und Freudenberg nach Betzdorf mit Anschluss an die Köln-Gießener-Eisenbahn.

Nachdem die im Jahre 1861 in Betrieb genommene Ruhr-Sieg-Eisenbahn ihren enormen wirtschaftlichen Nutzen unter Beweis gestellt hatte und die Verwirklichung der Köln-Kasseler-Eisenbahn nicht absehbar war, gab man sich in Olpe und Umgebung zunächst bescheiden und erwog vorläufig den Bau einer Pferdebahn von Olpe nach Finnentrop.

Die immer wieder aufkommende Hoffnung für das Projekt Köln - Kassel sorgte schließlich dafür, dass man weiter abwartete.

Nach 1865 reichten die Städte Attendorn und Olpe erneut Petitionen an den preußischen Landtag und erinnerten an die Verpflichtung der BME zum Bau einer Stichbahn.

 

Dazu enthielt das Olper Kreisblatt vom 27. Februar 1869 folgendes:

 

Olpe, den 26. Febr. nachmittags. Soeben aus Berlin eingelaufenen Telegramm zufolge ist die Vorlage wegen des Baues der Eisenbahn Finnentrop - Olpe - Rothemühle vom Abgeordneten-Hause angenommen, das Amendement von Dr. Hammacher, wonach die beteiligten Gemeinden die Grundentschädigung tragen sollen, verworfen.

 

Die Bestätigungsurkunde zum Bau und Betrieb der Eisenbahn durch die BME datiert vom 14. Februar 1870.

 

Bald darauf wurde mit dem Bau der Strecke durch das Biggetal begonnen. Der erste Spatenstich für den Bau des Bahnhofs Olpe erfolgte am 24. Mai 1873.

Der erste Abschnitt zwischen Finnentrop und Attendorn wurde am 01. April 1874 eröffnet. Der nächste Abschnitt bis Olpe schritt zügig voran. Am 6. September 1875 war er soweit gediehen, dass die erste Lokomotive mit einem Bauzug in den Bahnhof Olpe einfahren konnte. Die Eröffnung fand am 1. November 1875 statt.

 

Der Chronist Hermann Forck schreibt dazu:

 

Früh morgens bereits erscholl der Donner der Böller über unsere Stadt und verkündete den Einwohnern die erste Abfahrt nach Finnentrop. Viele Festteilnehmer hatten sich zu dieser ersten Fahrt eingefunden. Auch die übrigen Züge des ersten Tages waren sehr besetzt. Mittags fand ein Festessen statt, an welcher über 100 Personen teilnahmen. Von Olpe nach Finnentrop fuhren zunächst drei Züge, 7.24, 11.48 und 6.04 Uhr, und von Finnentrop um 10.20, 2.35 und 8.55 Uhr.

 

Im Laufe des Jahres 1869 keimte im oberbergischen Kreis die Hoffnung auf  einen Eisenbahnanschluss wieder auf. Die Bergisch-Märkische-Eisenbahn (BME) bekam eine weitere Konzession für eine Eisenbahn von Düsseldorf nach Aachen unter der Bedingung, alsbald eine Vollbahn von Siegburg über Overath nach Ründeroth zu bauen. Man war von der direkten Verbindung von Köln wohl daher abgekommen, weil sich bei Deutz eine militärische Anlage befand, die sich nicht ohne Schwierigkeiten umgehen ließ. Außerdem war die Trasse von Siegburg aus, dem Aggertal folgend, einfacher und billiger herzustellen.

 

Da der preußische Staat noch immer keine eigenen Eisenbahnen baute, blieb ihm zur Erschließung unserer Region wieder nur die Möglichkeit Druck auf die Bergisch-Märkische-Eisenbahn (BME) auszuüben. Die wiederum hatte kein besonderes Interesse an einer Eisenbahn ins Oberbergische und zudem litt sie sehr unter dem Konkurrenzdruck der anderen Eisenbahngesellschaften an der Ruhr und an der Wupper. Kurz gesagt, die BME hatte kein Geld, weshalb sogar die fast fertige Strecke zwischen Opladen und Wermelskirchen ohne Oberbau liegen blieb.

 

Inzwischen hatte sich das Eisenbahnnetz außerhalb des Oberbergischen Kreises oder besser gesagt des Altkreises Gummersbach wie folgt entwickelt:

 

25.09.1867 Ohligs - Solingen

08.04.1868 Ohligs - Opladen - Deutz

01.09.1868 Rittershausen (heute Wuppertal-Oberbarmen) - Lennep - Remscheid

06.09.1870 Hennef - Waldbröl als erste deutsche dampfbetriebene Schmalspurbahn

16.10.1871 Hagen - Oberhagen

06.01.1873 Schwerte - Meschede - Warburg

01.04.1874 Finnentrop - Attendorn

06.09.1874 Oberhagen - Brügge (Westf.)

01.11.1875 Attendorn - Olpe

15.05.1876 Lennep - (Bergisch) Born - Hückeswagen und Born - Wermelskirchen

01.01.1877 Hückeswagen - Wipperfürth

15.07.1880 Brügge (Westf.) - Lüdenscheid

01.12.1880 Olpe - Rothemühle

15.10.1881 Opladen - Wermelskirchen

 

Die Enttäuschung über die Hinhalte- und Verzögerungstaktik der BME war in unserer Region daher sehr groß, weil die wirtschaftliche Entwicklung nicht vorankam.

 

Im Jahre 1878 forderte der spätere Landtagsabgeordnete Bernhard Krawinkel öffentlich auf, die von Hagen bis Brügge gebaute Bahnlinie bis in den Kreis Gummersbach zu verlängern. Es wurde auch ein neues Komitee gebildet, welches sich zum Ziel setzte, unter allen Umständen die Eisenbahn heranzuschaffen. Dabei sparte man nicht mit Kritik an der Bergisch- Märkischen-Eisenbahn, die das Oberbergische Land so rücksichtslos vernachlässigt hatte.

Um dem Ziel endlich näher zu kommen, versuchte sich das Komitee in politischer Taktik und förderte die Kandidatur des damaligen Eisenbahnministers Maybach zum preußischen Landtag, nicht etwa aus besonderer Freundschaft zu Maybach, sondern um endlich ein geneigtes Ohr im Ministerium zu bekommen. Maybach wurde in einer Stichwahl gewählt und das Ziel war erreicht.

Inzwischen wurden auch die Eisenbahngesellschaften nach und nach verstaatlicht und so konnte 1882 mit dem Bau der Eisenbahn von Siegburg nach Ründeroth begonnen werden.

 

Der tatsächliche Bau war aber keinesfalls eine genaue Erfüllung der Konzessionsverpflichtung. Statt einer Vollbahn baute man eine Nebenbahn, die zwischen Overath und Ründeroth die Trasse der Köln-Olper-Straße mitbenutzte und äußerst sparsam ausgestattet wurde.

Am 16. Oktober 1884, nach 20 Jahren zähem Ringen konnte die Strecke bis Ründeroth in Betrieb genommen werden und unterstand zunächst der Eisenbahndirektion Frankfurt/Main, da sie in Siegburg von der Köln-Gießener-Eisenbahn ausging und noch keine Verbindung nach Wuppertal oder Köln bestand.

Die sparsame Ausführung der Nebenbahn erlaubte nur geringe Geschwindigkeiten, so dass die Fahrzeit über Siegburg nach Köln 4 1/2 Stunden betrug. Die Bevölkerung nahm dies in der damaligen Zeit aber gerne in Kauf. Die Hauptsache war, dass man überhaupt reisen konnte.

Die Eröffnung des Güterverkehrs bedeutete für den Kreis Gummersbach die Rettung aus der lähmenden Depression, unter der seine Wirtschaft infolge der Verkehrsschwierigkeiten gelitten hatte.

Kennzeichnend für die Unterschätzung der Industrie und des Frachtaufkommens dieser Gegend war die Tatsache, dass die Güterabfertigung des Bahnhofs Ründeroth bereits drei Tage nach der Eröffnung wegen hoffnungsloser Überlastung gesperrt werden musste. Mit über 200 Fuhrwerken am Tag war man dem Ansturm nicht gewachsen und so blieb den Fuhrleuten nichts anderes übrig, als bis zu einer Erweiterung der Anlagen in Ründeroth weiterhin in Wipperfürth und in Olpe zu verladen.

Es wurden aber sehr bald Gleisverlängerungen im Bahnhof Ründeroth vorgenommen und das Personal auf 20 Bedienstete erhöht.

 

Die Überraschende Entwicklung des Güterverkehrs beflügelte die Fabrikanten und die Politiker zu neuen Plänen, um die Eisenbahn weiter nach Norden und Osten voranzutreiben. Es gab viele Pläne die daher rührten, dass nun jede Gemeinde an eine Eisenbahnlinie angeschlossen sein wollte.

Die aussichtsreichsten waren aber zunächst eine Verbindung über Derschlag und Meinerzhagen an die bereits bestehende Bahn in Brügge (Westf.) und eine Verbindung von Ründeroth durch das Wiehltal an die vorhandene Bahn in Rothemühle.

Zu beiden Verbindungen gab es aber viel diskutierte Alternativen. So zum Beispiel von Niederseßmar durch das Becketal über Marienheide nach Brügge mit Abzweig in Marienheide nach Wipperfürth. Andererseits von Derschlag über Eckenhagen nach Olpe oder Rothemühle.

 

Während man über diese Varianten noch leidenschaftlich stritt, gelang es die Aggertalbahn von Ründeroth bis Derschlag zu verlängern und am 01. Mai 1887 in Betrieb zu nehmen. Dadurch waren alle weiteren Pläne noch möglich und offen. Leider beging man aus Gründen der Sparsamkeit hier den gleichen Fehler wie bei dem Streckenabschnitt zwischen Overath und Ründeroth. Die Gleise lagen wieder bis auf einen kurzen Abschnitt vor Niederseßmar auf der Köln-Olper-Straße.

 

Im Jahr 1888 lebten die Bestrebungen einer Vollbahn Kassel - Köln wieder auf. Man wäre sich auch schnell einig geworden, wenn die Kasseler nicht eine neue Variante über Meinerzhagen - Wipperfürth - Bergisch-Gladbach favorisiert hätten. Die Staatsregierung war ebenfalls gegen diese Variante und schlug vor, die Städte Köln und Kassel durch eine Verbindung bereits bestehender Strecken zu realisieren.

Nur kurze Zeit später genehmigte der preußische Staat auch nördlich des Kreises den Weiterbau der Eisenbahn um unter anderem der heimischen Industrie die Belieferung mit Steinkohle zu verbessern.

Die Linienführung war nun so gewählt, dass die Kreisstadt Gummersbach direkt angeschlossen wurde. Bis dahin hatte man einfach den Bahnhof in Niederseßmar zum Bahnhof Gummersbach ernannt.  

Die Eröffnung der Bahn von Hagen über Brügge (Westf.) her erfolgte in mehreren Abschnitten und zwar:

 

15. Oktober 1891       Brügge (Westf. - Oberbrügge

01. Juni 1892              Oberbrügge - Meinerzhagen

01. Dezember 1892     Meinerzhagen - Marienheide

01. Juli 1893                Marienheide - Gummersbach

01. Oktober 1893       Gummersbach - Dieringhausen

 

Nun war man bereits einen Schritt weiter. Der Kreis hatte seinen zweiten Eisenbahnanschluss, die Kreisstadt ihren eigenen Bahnhof, der Bahnhof Niederseßmar erhielt nun seinen richtigen Namen und das damals noch unbedeutende Dieringhausen wurde zum Eisenbahnknoten.

 

Während man nun den Fortschritt überall dort sehen konnte, wo die Eisenbahn bereits fuhr, kamen die Betriebe in den abseits gelegenen Orten zunehmend in Bedrängnis. Sie waren vor allem durch die längeren und teureren Gütertransporte im Nachteil und verlangten lautstark nach weiteren Eisenbahnstrecken.

So gelang es zunächst den Industriestandorten Bergneustadt und Wiehl einen Eisenbahnanschluss zu erhalten.

Am 01. Januar 1896 wurde die Verlängerung der Eisenbahn von Derschlag nach Bergneustadt eröffnet. Da man inzwischen erkannt hatte, dass sich Eisenbahn und Straße auf einer Trasse gegenseitig und auch die Anwohner erheblich störten, baute man von nun an auf einer eigenen Trasse abseits der Straße.

Man kann am ungewöhnlichen Gleisbild des Bahnhofs Derschlag noch heute gut erkennen, dass man beim Bau 1887 noch andere Pläne für eine Weiterführung hatte und sich nun neun Jahre später zu einer bogenförmigen Ausfahrt aus der Bahnhofsmitte entschließen musste, um die Gleise nicht wieder mitten durch den Ort führen zu müssen.

Da zu dieser Zeit zwar Pläne aber noch keine Zeitvorstellungen geschweige denn eine Genehmigung zum Weiterbau gen Osten vorlagen, wurde Bergneustadt Endbahnhof mit einem zweiständigen Lokschuppen mit Werkstatt, einem Wasserturm und Bekohlungsanlage für die Versorgung und Wartung der Lokomotiven.

 

Wie der nachstehende Fahrplanauszug von 1897 zeigt, verkehrten anfänglich sechs Personenzugpaare von Siegburg nach Bergneustadt und zurück, von denen drei auch Güter und Bahnpost beförderten. Außerdem verkehrten zwei reine Güterzugpaare. Zwei Züge übernachteten jeweils in Bergneustadt.

 

Im Jahr 1897 wechselte nun auch die Zuständigkeit der Strecke Bergneustadt - Siegburg von der Eisenbahndirektion Frankfurt/Main zur Eisenbahndirektion Elberfeld, nachdem nun von Dieringhausen über Hagen eine Verbindung dorthin bestand.

 

Die Planung weiterer Eisenbahnstrecken blieb nicht aus. Der Kreis Olpe war nach wie vor sehr stark an einer Verbindung nach Köln interessiert und auch Bergneustadt wollte nicht Endstation bleiben.

Nun lag es nahe, eine Verbindung von Olpe nach Bergneustadt zu planen, wobei es allerdings große Höhenunterschiede zu bewältigen galt, um die Wasserscheide an der Kreisgrenze zu überwinden. Als günstigste Trasse stellte sich der südliche Hang des Dörspetals heraus, dem man bis unterhalb von Wegeringhausen folgen konnte. Die eigentliche Wasserscheide war nur durch einen Tunnel zu durchqueren, um dann von Hützemert dem Tal der Rose folgend über Drolshagen und Eichen nach Olpe zu gelangen.

 

 

Am 24. März 1898 war die Strecke Olpe - Bergneustadt in die Gesetzesvorlage des Preußischen Landtags gekommen. Am 20. Mai 1898 wurde das Gesetz beschlossen.

 

 

 

Verlauf der Strecke zwischen Dieringhausen und Olpe

 

Die Vorplanungen und Trassenuntersuchungen gehen in das Jahr 1895 zurück. Am 6. März 1896 befasste sich der Gemeinderat von Wiedenest mit dem Bau der Eisenbahn. Es war üblicherweise so, dass der preußische Staat von den Gemeinden oder Kreisen eine unentgeltliche Übertragung des Geländes für die Eisenbahntrassen verlangte. Da sich das Gelände überwiegend in Privatbesitz befand, fasste der Gemeinderat folgenden Beschluss:

 

Der Gemeinderat von Wiedenest hat beschlossen, den für die Weiterführung der Eisenbahn von Bergneustadt über Wiedenest und Drolshagen nach Olpe innerhalb der Gemeinde Wiedenest entstehenden Grundschaden für den Ankauf des erforderlichen Terrains zu übernehmen und der königlichen Staatsregierung das erforderliche Terrain kostenfrei zur Disposition zu stellen.

 

Später wurde festgestellt, dass die Grunderwerbskosten für die Bahnlinie 20.989 Mark betragen haben. Zur Deckung dieses Betrages habe der Kreis eine Anleihe aufgenommen, welche von der Gemeinde verzinst und getilgt wird. Die Schuldsumme wird im Jahre 1944 abgetragen sein.

 

Am 20. Mai 1898 wurde der Bau der Eisenbahn von Bergneustadt nach Olpe per Gesetz genehmigt. Der darin enthaltene Kostenvoranschlag sah folgende Ausgaben vor:

 

1.   Grunderwerb und Nutzungsentschädigung usw.                              226.000 Mark

2.   Erd-, Fels- und Böschungsarbeiten                                                   900.000     "

3.   Einfriedung                                                                                              16.000     "

4.   Wegeübergänge einschließlich der Unter- und Überführungen

      von Wegen und Eisenbahnen nebst allem Zubehör                      243.000     "

5.   Durchlässe und Brücken                                                                     326.100     "

6.   Tunnel                                                                                                    455.000     "

7.   Oberbau nebst allen Nebensträngen und zugehörigen

      Ausweichungen                                                                                     638.000     "

8.   Signale nebst dazugehörigen Buden und Wärterwohnungen          21.000     "

9.   Bahnhöfe und Haltestellen nebst Zubehör                                       196.000     "

10. Werkstattanlagen                                                                                      3.000     "

11. Außerordentliche Anlagen (Fluß- und Stromverlegung)                    8.000     "

12. Betriebsmittel                                                                                            4.000     "

13. Verwaltungskosten                                                                               306.000     "

14. Insgemein                                                                                               24.900     "

                                                                                                                  _____________

      Zusammen                                                                                       3.367.000 Mark    

                                                                                                                  ============

 

Jetzt konnte mit den Bauarbeiten begonnen werden. Die beauftragten Firmen konnten den Bedarf an Arbeitern nur decken, indem sie hunderte von Fremdarbeitern anwarben. Viele von ihnen waren Italiener.

Die große Zahl von Arbeitern erklärt sich dadurch, dass große Erd- und Felsmassen zu bewegen waren und kaum technische Hilfsmittel zur Verfügung standen.

Um eine möglichst gleichmäßige Steigung zu erreichen, baute man die Eisenbahn nicht in der Talsohle, sondern am südlichen Hang von Bergneustadt aus stärker steigend als die Straße im Tal. Das Erdreich und Gestein aus den Einschnitten verwendete man für die Aufschüttung der Dämme. Der wohl aufwändigste Damm wurde zwischen den damaligen Ortsteilen Am Knollen und Bruchhausen im heutigen Wiedenest angelegt, um das Seitental der Sülemicke zu überbrücken. Die Wege im Bereich solcher Dämme wurden durch gewölbeartige Durchlässe geführt, die auch Viadukte genannt und aus Bruchsteinen gemauert wurden.

 

Das erforderliche Steinmaterial lieferten die damaligen Steinbrüche bei Niederrengse und wurde mit Pferdefuhrwerken zur jeweiligen Baustelle gebracht.

Das aufwändigste Bauwerk war ohne Zweifel der 724 Meter lange Wegeringhausener Tunnel, der die Täler von Dörspe und Rose miteinander verbinden sollte. Ca. 15.000 Kubikmeter Gestein mussten etwa 50 Meter unter der Ortslage von Wegeringhausen herausgesprengt und fortgeschafft werden. Das vorgefundene lockere Felsgestein gestaltete die Arbeiten schwieriger als man geplant hatte. So musste das Tunnelgewölbe stellenweise bis zu einem Meter dick ausgeführt werden, um den Druckbelastungen im Berg standzuhalten. Es kam aber auch einige Male zu Wassereinbrüchen. In einem Fall hatte man den Brunnen des darüber liegenden Anwesens der Familie Feldmann angebohrt, was zu einer teuren Entschädigungsleistung führte.  

Das heraus gebrochene Gestein wurde mit Loren auf eigens dazu verlegten Feldbahngleisen abtransportiert und weiter westlich zum Aufschütten von Dämmen verwendet.

 

  

 

Baustelle auf der Westseite des Wegeringhausener Tunnels. Oben links die Baracke mit Baubüro und Küche. Der Abraum wurde mit einer Feldbahn abtransportiert. Unten rechts: Die Fertigstellung des Tunnels wird gefeiert.

  

Die Arbeiten am Tunnel nahmen etwas mehr als zwei Jahre in Anspruch. Für die Arbeiter und die Bauleitung war unweit des westlichen Tunnelportals ein barackenartiges Gebäude errichtet worden, in dem die Kantine und das Baubüro untergebracht war.

Am 11. Februar 1903 konnte der Tunnel schließlich fertig gestellt werden. Die dafür veranschlagten Kosten in Höhe von 455.000 Mark wurden um 298.000 Mark überschritten.

 

 

Das Westportal des Wegringhausener Tunnels kurz vor der Fertigstellung im Frühjahr 1903.  Foto: Felix Stahlhacke

 

Der Eisenbahnbau war für die heimischen Steinbrüche ein gutes Geschäft. Die vielen Durchlässe, Brücken, Stützmauern und nicht zu vergessen das Tunnelgewölbe und das Schotterbett für die Gleise wurden aus heimischer Grauwacke erstellt.

Im Jahr 1901 führte die Gemeinde Wiedenest zur Unterhaltung und zum Ausbau von Straßen und Wegen eine Wegegebühr für Fuhrwerke mit Steinmaterial ein. So musste für jeden Wagen mit Bruchsteinen oder Pflastersteinen 1,50 Mark und mit anderem Steinmaterial (z.B. Schotter) 0,25 Mark an die Gemeinde gezahlt werden.

Bereits ein Jahr zuvor hatten die findigen Gemeindevertreter eine Biersteuer eingeführt. Ob dies bei den vielen im Tal beschäftigten Eisenbahnarbeitern eine lohnende Geldquelle war, ist leider nicht überliefert.

 

Von Olpe aus betrachtet, wurden Bahnstationen in Eichen, Drolshagen, und Hützemert gebaut. Im oberen Dörspetal war eine Bahnstation geplant, die oberhalb der Siedlung Bruchhausen am Hang des Laubbergs angelegt wurde. Da es ein zusammenhängendes "Wiedenest" noch nicht gab, erhielt die Station den Namen "Bruchhausen".

Dazu waren größere Erdbewegungen erforderlich, um ein ausreichend breites terassenförmiges Plateau für die Gleisanlagen, die Gebäude sowie für die Zufahrtsstraße und die Ladestraße herzustellen. Die Bahnhofsgebäude von Bruchhausen (später Wiedenest), Hützemert und Eichen waren baulich identisch. Drolshagen erhielt ein etwas größeres Gebäude, allerdings im gleichen Baustil. Die Keller wurden aus Bruchsteinen gemauert. Darüber wurden die Gebäude in Fachwerkbauweise mit ausgemauerten Gefachen errichtet und mit Ausnahme der Güterschuppen kunstvoll verschiefert.

 

Aus den Bauplänen des Bahnhofs Bruchhausen (Wiedenest)

 

Um die Bahnhöfe mit Wasser zu versorgen, wurden jeweils eigene Brunnen gebohrt.

Im Erdgeschoss der Bahnhofsgebäude befanden sich ein Dienstraum und zwei Warteräume. Darüber befand sich die Wohnung des jeweiligen Bahnhofsvorstehers. Etwa 20 Meter neben dem Hauptgebäude wurde in Bruchhausen ein kleines Nebengebäude errichtet. Darin befanden sich je ein Abort für Männer und Frauen sowie ein kleiner Stall. Es war damals üblich, dass der Bahnhofsvorsteher nebenbei den bahneigenen Garten bewirtschaftete und sich ein paar Ziegen hielt.

Der Güterschuppen mit den dazugehörigen Rampen wurde direkt an das Bahnhofsgebäude angebaut. Da man keine großen Stückgutmengen erwartete, fiel diese Einrichtung nur so groß aus, dass jeweils ein geschlossener Güterwagen am Schuppen be- und entladen werden konnte.

 

Im Spätsommer des Jahres 1903 waren die Tage der guten alten Postkutsche gezählt. Seit 1896 bediente sie ohnehin nur noch die Reststrecke zwischen Bergneustadt und Olpe. Vielfach war die so genannte Kariolpost, ein leichter einspänniger Wagen, im Einsatz.

 

Abschluss eines Kapitels der Verkehrsgeschichte. Am Nachmittag des 31. August 1903 verlässt die letzte Kariolpost die Kreisstadt Olpe mit dem Ziel Bergneustadt. Foto: Archiv Kreis Olpe

 

Nachdem einige Tage zuvor die baupolizeiliche Abnahme der neuen Strecke ohne Beanstandungen erfolgt war, kam am 1. September 1903 der große Tag der Eröffnung, womit die Lücke zwischen Bergneustadt und Olpe geschlossen und das obere Dörspetal an die große weite Welt angeschlossen wurde.

Mehr als vierzig Jahre waren vergangen, in denen sich Eisenbahnkomitees bemüht hatten, in denen heftig gerungen und gestritten wurde, um nun wenigstens diese Lösung einer Ost-West-Verbindung zu realisieren. Es war nicht die gewünschte Hauptbahn Köln - Kassel aber immerhin eine Nebenbahn mit der man reisen und Güter transportieren konnte. Entsprechend groß war die Freude der Bevölkerung, die der Eisenbahn in dieser Gegend einen begeisterten Empfang bereitete.

 

 

Am Vortag der feierlichen Eröffnung schmückten die Bewohner ihren neuen Bahnhof. Foto: Hugo Wille, Slg. Christoph Marschner

 

Das Festkomitee gab dazu eigens eine Festschrift heraus in der nicht nur ein Teil der Entstehungsgeschichte wiedergegeben, sondern auch allen gedankt wurde, die sich zum Teil über Jahrzehnte um diese Verbindung verdient gemacht hatten. 

 

 

 Die wichtigen Persönlichkeiten wurden mit der vorstehenden Einladung zur Fahrt mit dem Eröffnungssonderzug und dem festlichen Rahmenprogramm eingeladen. Die Kinder erhielten Schulfrei, hatten sich aber zur Begrüßung des Eröffnungszuges am jeweiligen Heimatbahnhof einzufinden, was sie aber sicher gerne taten.

 

Die Bahnhöfe und einige in der Nähe stehenden Häuser wurden festlich geschmückt, so dass die Atmosphäre einem ganz  besonderen Volksfest entsprochen haben dürfte.

 

Aus den zahlreichen Presseberichten sind nachfolgend einige ausgewählt und wiedergegeben:

 

Mit Inbetriebnahme des Bahnhofs Bruchhausen (später Wiedenest) stand den Bewohnern des oberen Dörspetales zum ersten Mal auch ein öffentlicher Telegraph zur Verfügung. Es war ein Morseapparat mit Lochstreifen, auf dem die Zugmeldungen und dienstlichen Mitteilungen der Eisenbahn erfolgten. Gegen eine Gebühr konnten aber auch private Telegramme aufgegeben oder empfangen werden.

 

Der Bahnbetrieb begann, indem fünf von den bislang in Bergneustadt endenden Personenzügen bis Olpe verlängert wurden. Die Züge fuhren in umgekehrter Richtung über Dieringhausen, Overath und Siegburg bis Troisdorf. Um nach Köln zu gelangen, musste dort umgestiegen werden. Die Fahrzeit von Bruchhausen (Wiedenest) nach Köln betrug zu dieser Zeit ca. 3 1/2 Stunden. Außerdem verkehrte ein Güterzugpaar.

 

Auszug aus dem Reichs-Kursbuch Sommer 1905  Slg. Christoph Marschner

 

Güterwagen mit eiligen Gütern wie Lebensmittel oder lebende Tiere wurden meist an die Personenzüge angehängt. Etwa die Hälfte der Züge führten auch Bahnpostwagen zur Beförderung sämtlicher Postsendungen.

 

Im oberen Dörspetal begann der Güterverkehr recht bescheiden. Da es noch keine Industriebetriebe gab, beschränkte sich die Verladung auf Bruchsteine, die aus den Brüchen in der Klauert und im Rengsetal mit Pferdewagen zum Bahnhof Bruchhausen (Wiedenest) gebracht wurden. Wenig später kam die Verladung von Grubenholz für die Kohlebergwerke im Ruhrgebiet hinzu.

Ankommende Güter hatte der Bahnhof in erster Linie der bäuerlichen Genossenschaft zu verdanken, die sich mit einem eigenen Gebäude direkt an der Ladestraße niedergelassen hatte.

 

Zeichnung: Christoph Marschner

 

 Hier konnten die damals noch zahlreichen Landwirte günstig Saatgut und Düngemittel beziehen. Ein wichtiger Bestandteil war aber auch der Bezug und Verkauf von Kohlen und Briketts.

 

 

Ein Personenzug von Olpe nach Siegburg im Jahr 1905. Als die Aufnahme entstand, hieß der Bahnhof noch Bruchhausen. Die Postkarte ist demnach erst nach der Umbenennung in „Wiedenest“ im Jahr 1907 verwendet worden. Foto: Slg. Christoph Marschner

 

 

Eine weitere historische Ansichtskarte zeigt den Bahnhof bereits mit seinem neuen Namen.

Slg. Chr. Marschner

 

Der Personenverkehr

 

Da es im oberen Dörspetal keine Industrie und kaum Arbeitsplätze gab, ging mit der Eröffnung der Eisenbahn ein lang gehegter Wunsch vieler Arbeiter in Erfüllung. Von nun an mussten sie ihren langen Weg zur Arbeitsstelle in Bergneustadt oder anderswo nicht mehr zu Fuß zurückzulegen.

Nur die Bewohner von Pernze und den anderen anliegenden Dörfern waren noch nicht zufrieden. Sie mussten bis Bruchhausen zu Fuß gehen, um den Zug benutzen zu können. Die Eisenbahnverwaltung hatte nämlich für den Ort Pernze keinen Haltepunkt vorgesehen.

Bereits ein Jahr vor der Eröffnung der Strecke hatten die Gemeindevertreter Carl Röttger aus Pernze, Richard Stamm und Florian Engel aus Attenbach, sowie Josef Hütte aus Belmicke den Antrag gestellt, auch in Pernze eine Haltestelle einzurichten. Als dieser Antrag auch ein Jahr nach der Eröffnung noch nicht bewilligt war, stellten die Ratsmitglieder aus Pernze, Carl Röttger, Ewald Röttger und Traugott Ochel erneut einen Antrag und spendeten gleichzeitig einen Betrag in Höhe von 1.180 Goldmark für die Einrichtung der Haltestelle.

Es sollte aber noch bis zum 1. Mai 1905 dauern, bis der Haltepunkt Pernze in Betrieb genommen wurde. Er erhielt einen 120 Meter langen Bahnsteig mit einem gemauerten, zur Gleisseite hin offenen Wartehäuschen. Im davor und an der Straße gelegenen "Haus Möthe" wurden die Fahrkarten als Agentur verkauft, die über den Bahnhof in Wiedenest geliefert und abgerechnet wurden.

 

 

Der Haltepunkt in Pernze  Foto: Christoph Marschner

 

Das Betriebsgeschehen

 

Der Bahnhof Bruchhausen war anfangs außer dem durchgehenden Hauptgleis mit einem 450 Meter langen Kreuzungs- und Überholungsgleis, einem ca. 200 Meter langen Ladegleis und einem ca. 50 Meter langen Schuppengleis ausgestattet.

 

Schematischer Gleis- und Lageplan des Bahnhof Bruchhausen (Wiedenest) zum Zeitpunkt der Sreckeneröffnung im Jahre 1903 Zeichnung: Christoph Marschner

 

Die Bahnsteige an den Gleisen 1 und 2 hatte je eine Länge von 150 Metern. Der Bahnsteig 2 war über einen höhengleichen Überweg aus Holzbohlen zu erreichen.

Ein Stellwerk und Einfahrsignale gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Die Weichen wurden von Hand bedient und dazu war der Bahnhofsarbeiter auch Weichensteller unter Aufsicht des Aufsichtsbeamten, der meistens auch der Bahnhofsvorsteher war.

Wenn sich zwei Züge begegneten, dann durfte der zuerst planmäßig ankommende Zug ganz normal in den Bahnhof einfahren und halten. Der entgegenkommende Zug hatte an einer "Deckungsscheibe", die etwa 500 Meter vor der Bahnhofseinfahrt stand, zu halten und ein Pfeifsignal zu geben. Wenn Zug 1 im Bahnhof stand, die Weichen in das Ausweichgleis gestellt und dies frei war, gab die Lok von Zug 1 ein bestimmtes Pfeifsignal, wonach Zug 2 nun ebenfalls einfahren durfte.

Die Zugmeldungen zu den Nachbarbahnhöfen Hützemert und Bergneustadt wurden mit dem Telegraph (Morseapparat) abgegeben bzw. empfangen.

Die Bahnsteig und Weichenbeleuchtung erfolgte mit Petroleumlampen, die ebenfalls vom Bahnhofsarbeiter betreut wurden. Das Personal benutzte Handlampen, die mit Karbid betrieben wurden.

 

Der Bahnhof Bruchhausen war von der königlich-preußischen Eisenbahndirektion Elberfeld ebenso wie die Bahnhöfe Hützemert und Eichen als Station der "Classe IV" eingestuft worden. Die Bahnhöfe Drolshagen und Bergneustadt waren wegen der größeren Einwohnerzahl der Städte in die "Classe III" eingestuft.

Neben dem Bahnhofsvorsteher, der auch im Bahnhofsgebäude wohnen musste, waren ein Eisenbahnassistent, der den Vorsteher zuweilen auch vertreten durfte, sowie zwei Bahnhofsarbeiter beschäftigt, die nicht nur als Weichensteller sondern auch im Güterschuppen und für sonstige Arbeiten eingesetzt wurden.

Leider sind die Namen der Eisenbahner aus dieser Zeit nicht überliefert.

 

Im Jahr 1906 wurden die Siedlungskerne Schlöten, Knollen, Bockemühle und Bruchhausen zusammengelegt und erhielten den Namen "Wiedenest".

Mit Inkrafttreten des Sommerfahrplans im Jahr 1907 erhielt auch der Bahnhof Bruchhausen den neuen Namen "Wiedenest". Dazu wurde die alte Bezeichnung am Gebäude einfach übermalt. Weil aber die Farbe nicht gut genug deckte, schien der alte Name am östlichen Giebel noch lange Zeit durch und erinnerte an die Umbenennung.

 

 

Am 1. Mai 1907 erschien der Bahnhof Wiedenest erstmalig mit seinem neuen Namen im Kursbuch. Die Zahl der Zugfahrten hatte sich bereits in Richtung Olpe auf sechs sowie in Richtung Dieringhausen auf sieben erhöht. Slg. Christoph Marschner

 

Im Jahr 1909 wurde das obere Dörspetal wieder etwas fortschrittlicher. Zwischen Wiedenest und

Pernze wurde die erste Wasserleitung gebaut, an die über 100 Haushalte angeschlossen werden konnten.

 

Die direkte Anbindung an die Domstadt "Cöln"

 

Am 10. August 1910 gab es ein Ereignis, welches die Bedeutung unserer Strecke für viele Jahre entscheidend beeinflusst hat. Gemeint ist die Eröffnung des Streckenabschnitts zwischen Overath und Kalk, von wo aus die Hauptbahn über den Rhein nach Köln führte.

Von Köln aus gesehen verläuft die neue Streckenverbindung über Heumar, durch den Königsforst nach Rösrath und traf dort auf die Eisenbahn von Bergisch-Gladbach nach Lindlar. Um die bereits bestehende Strecke bis Hoffnungsthal mitbenutzen zu können, wurde die Trasse auf die andere Talseite verlegt und in Hoffnungsthal ein neuer Bahnhof an anderer Stelle gebaut. Dort trennte sich die neue Strecke  wieder. Mit Hilfe des 1.086 Meter langen "Honrather Tunnels" wurde das Aggertal bei Overath erreicht, wo nun der Anschluss an die Strecke Siegburg - Olpe erfolgte.

Dieser neue Streckenabschnitt wurde lange hartnäckig gefordert und endlich erreicht. Die Entfernung von Wiedenest nach Köln schrumpfte nun von 84 auf 66 Kilometer zusammen, was sich auch durch eine deutlich kürzere Fahrzeit bemerkbar machte. Lag die durchschnittliche Fahrzeit über Siegburg bei 3 1/2 Stunden, so kam man nun mit 2 Stunden 25 Minuten aus. Der alte Streckenabschnitt zwischen Overath und Siegburg behielt von nun an nur noch lokale Bedeutung.

Die Personenzüge verkehrten aber nicht, wie man meinen sollte, direkt von und nach Köln, sondern nach dem damals noch eigenständigen rechtsrheinischen Mülheim. Es lag wohl daran, dass die Rheinbrücke zwischen Deutz und Köln ein Nadelöhr darstellte und weitere Züge nicht aufnehmen konnte. Reisende von und nach Köln mussten also entweder in Deutz umsteigen, oder zu Fuß über die Rheinbrücke nach Köln gehen.

 

Gut fünf Monate später, am 11.01.1911 wuchs die Ost-West-Verbindung um ein weiteres Stück. Diesmal im Osten, wo die Strecke Finnentrop - Eslohe - Wennemen fertig gestellt wurde. In Wennemen mündete die Strecke in die obere Ruhrtalbahn Hagen - Schwerte - Meschede - Brilon - Warburg - Kassel. Man konnte nun mit viel Wohlwollen von einer Verbindung Köln - Kassel sprechen, obwohl es in dieser Relation nie durchgehende Züge gab. Aber dennoch war die Verbindung zur oberen Ruhrtalbahn ein erheblicher Fortschritt. Die Eisenbahnverwaltung führte nun einige Züge von Mülheim/Rhein über Olpe hinaus bis Finnentrop, einige bis Bestwig und einen sogar bis Paderborn. In Meschede oder Bestwig erreichte man gute Anschlüsse an Schnellzüge nach Kassel, Berlin, Leipzig, Dresden und Breslau. Die über Olpe hinaus verkehrenden Züge verblieben bis 1920 in den Fahrplänen. Danach wurden die Durchläufe aufgegeben und es musste in Olpe umgestiegen werden.

 

Neue Pläne einer Hauptbahn Köln - Olpe - Kassel

Wer gemeint hat, dass die zähen Bemühungen um eine Köln-Kasseler Hauptbahn wegen der entstandenen Nebenbahnen, die aneinandergereiht inzwischen eine, wenn auch langwierige, Ost-West-Verbindung darstellten, endgültig zu den Akten gelegt worden sei, der irrt sich.

Die überörtlichen Interessen der Industrie- und Handelskammern paarten sich mit den wirtschaftlichen Interessen der aufblühenden Elektrizitätswerke.

Da man mittlerweile die Vorzüge der elektrischen Zugförderung erkannt hatte, sahen die Elektrizitätswerke recht interessante Absatzmärkte, für die es sich zu engagieren lohnte.

Noch immer war eine direkte, leistungsfähige deutsche West-Ost-Achse gefragt, die von Aachen über Köln und Kassel bis nach Breslau verlaufen sollte. So lebte die Idee wieder auf und die "Bergmann-Elektricitäts-Unternehmungen" aus Berlin nahmen sich der Sache an. Gedacht war an einen zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung der vorhandenen Nebenbahn Köln - Olpe mit entsprechenden Streckenbegradigungen und Neutrassierungen, die eine höhere Geschwindigkeit erlauben sollte. Die Planungen und Vorgespräche wurden seinerzeit sehr vertraulich geführt, so daß in der Öffentlichkeit nicht viel davon bekannt wurde.

Daß die Trassierung eines solchen Projekts wegen der topografischen Verhältnisse im Osten des Oberbergischen Landes und im Sauerland sehr aufwendig und teuer werden würde, war den Planern wohl bewusst. Man war aber ernsthaft davon überzeugt, daß diese Probleme lösbar und letztlich auch wirtschaftlich vertretbar seien.

Wenn man sich einmal vorstellt, dass eine solche Magistrale von Ost nach West in den damaligen Grenzen Deutschlands als leistungsfähige und erste durchgehend elektrische Eisenbahn entstanden wäre, dann erscheinen solche Überlegungen gar nicht so abwegig.

Ein Ausschnitt aus dem damals mit dem Bürgermeister der Stadt Bergneustadt geführten Schriftwechsel sowie ein Übersichtsplan finden Sie hier:

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Leider machte der erste Weltkrieg und der wirtschaftliche Niedergang Deutschlands eine Ausführung des ehrgeizigen Projekts zunichte.

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Der Verkehr auf der noch jungen Strecke nahm ständig zu. Dies betraf besonders den Güterverkehr, der mit einem Güterzug in jede Richtung nicht mehr zu bewältigen war. Ab 1910 verkehrten nun täglich zwei Güterzüge in jede Richtung.

In Wiedenest wurden vermehrt Bottiche mit lebenden Fischen in die Packwagen der Personenzüge verladen, die der Fischzüchter und -händler Carl Maassen aus Düsseldorf zu seinem dortigen Fischgeschäft schickte. Er betrieb bis Mitte der zwanziger Jahre eine Edelfischzucht in Pernze, wo sich im Bereich des heutigen Sportplatzes 33 Teiche befanden.

Der übrige Güterverkehr bestand aus Düngemitteln und Saatgut für die Landwirtschaft, Briketts und Kohlen für den Hausbrand, Bruchsteinen und Schotter aus den Steinbrüchen sowie Grubenholz aus den heimischen Fichtenwäldern für die Kohlegruben im Ruhrgebiet. An den anderen Bahnhöfen kamen Rohstoffe und Fertigerzeugnisse der jeweiligen Industrie hinzu.

Im Personenverkehr gab es inzwischen sieben Züge in Richtung Olpe sowie acht Züge in Richtung Dieringhausen.

 

Ein besonderes Problem bedeutete die Trassenführung zwischen Overath und Derschlag. Wegen der sparsamen Bauweise teilten sich hier überwiegend Eisenbahn und Hauptstraße die gleiche Trasse, wobei die unterschiedlichen Verkehrswege unmittelbar nebeneinander lagen. Dies war besonders bei den Ortsdurchführungen in Osberghausen, Brunohl, Dieringhausen und Vollmerhausen eine lästige und gefährliche Angelegenheit geworden, die sich auch auf die erlaubte Geschwindigkeit der Züge sehr negativ auswirkte.

 

Um hier Abhilfe zu schaffen, entschloss man sich die Eisenbahn auf eine eigene Trasse in der Nähe der Agger und ab Osberghausen an den nördlichen Hang zu verlegen. Diese Arbeiten begannen 1910 und konnten 1914 abgeschlossen werden. Diese Maßnahme hatte auch eine völlige Umgestaltung der Bahnhöfe Osberghausen und Dieringhausen zur Folge und konnten zu einer längst nötigen Erweiterung der Gleisanlagen genutzt werden.

Im Rahmen dieser Trassenverlegung war man weitsichtig genug, um gleich den Abschnitt Osberghausen - Dieringhausen für einen zweigleisigen Ausbau vorzubereiten. Zwischen Niederseßmar und Derschlag ließ man das alte Gleis neben der Straße liegen, denn der Kreis und die Stadt Gummersbach planten bereits eine elektrische Straßenbahn, die dieses Gleis nutzen sollte.

In dieser Zeit wurden aber noch andere Vorhaben durchgeführt. In Bergneustadt war der Güterschuppen nicht mehr ausreichend und wurde im Jahre 1912 auf die doppelte Größe erweitert.

 

Der Kursbuchauszug vom 1. Oktober 1913 zeigt den neuen Streckenverlauf direkt nach Cöln. Die Zahl der Personenzüge hat sich in Wiedenest nochmals auf acht Richtung Olpe und neun Richtung Dieringhausen erhöht. Slg. Christoph Marschner

 

Um die Zugfahrten schneller und sicherer abwickeln zu können, erhielten die Bahnhöfe an der Strecke Einfahrsignale und die wichtigsten Weichen wurden mit mechanischer Fernbedienung ausgerüstet.

 

Zum Sommerfahrplan 1914 wurde der Betrieb auf der neuen Trasse aufgenommen. Die Fahrzeiten von und nach Köln bzw. Mülheim Rhein wurden wenige Minuten kürzer. Das Angebot im Personenverkehr war schon recht beachtlich.

Eine Rekonstruktion des Ankunft- und Abfahrtplans des Bahnhofs Wiedenest aus dem Reichskursbuch vom 4. Juni 1914 soll dies verdeutlichen. Daraus lassen sich die bemerkenswerten Zugläufe erkennen, die von Mülheim/Rhein bis Finnentrop, Wenholthausen, Bestwig oder gar bis Paderborn  und umgekehrt verkehrten. Auch ein Zuglauf Waldbröl - Finnentrop war dabei.

Wie ein Abfahrt- und Ankunftplan für den Bahnhof Wiedenest in diesem Jahr ausgesehen hätte und welche Anschlussverbindungen die Züge boten, ist nachstehend abgebildet:

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Die meisten Reisenden von und nach Wiedenest werden wohl aus Gründen der Sparsamkeit in der IV. Klasse gereist sein, denn es waren doch meist die Arbeiterinnen und Arbeiter, die in der damals noch blühenden Textilindustrie in Bergneustadt, Derschlag und Vollmerhausen beschäftigt waren und mit dem Zug zwischen Wohn- und Arbeitsort pendelten. Viele kamen auch von Attenbach und Belmicke zu Fuß durch den Wald herunter, um in Wiedenest den Zug zu erreichen. Durch das Othetal gab es noch kein öffentliches Verkehrsmittel.

Einige verdienten ihren Lebensunterhalt aber auch im Sauerland in der Metallverarbeitenden Industrie wie in Olpe, Drolshagen, Attendorn, Plettenberg und Werdohl. Diese Möglichkeiten ergaben sich aber erst durch die Eisenbahnverbindung.

 

In den Jahren 1912 und 1913 machte das obere Dörspetal zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem elektrischen Licht. Da nämlich wurde die erste elektrische Anlage für Hausanschlüsse und Straßenbeleuchtung für Wiedenest und Pernze gebaut, die im Herbst 1913 fertig gestellt wurde.

 

 

Wiedenest im Jahr 1912. Am rechten Bildrand "umrundet" ein Personenzug zwischen Wiedenest und Bergneustadt die Wiedenester Kirche. Foto: Hugo Wille, Slg. Christoph Marschner

 

Die Tatsache, dass das obere Dörspetal durch die Eisenbahnverbindung nun nicht mehr so abgeschieden war, mag dazu beigetragen haben, dass sich ein, wenn auch bescheidener, aber dennoch erkennbarer Wohlstand und eine Grundlage zur Niederlassung entwickelte.

So ließ sich 1913 am Schlöten die Firma Pieper & Keller aus dem Raum Düsseldorf nieder. Sie brachte mit ihrer Zinnverarbeitung zwar nicht viele Arbeitsplätze aber es war ein Anfang und die Firma wurde ein guter Kunde für den Bahnhof Wiedenest im Güterverkehr.

 

Die Eisenbahn im oberen Dörspetal erlebte in den Jahren 1910 bis 1914 ihre erste Blütezeit. Das Verkehrsaufkommen stieg durch die 1910 eröffnete Verbindung von Overath nach Köln, durch die 1911 fertig gestellte Strecke von Finnentrop in Richtung Meschede und die zahlreichen Nebenstrecken.

Um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden, galt es neben den bereits erwähnten Streckenverlegungs- und Stellwerksprojekten noch zahlreiche Erweiterungen zu schaffen.

So erhielt der Bahnhof Wiedenest ein weiteres Abstellgleis mit einer nutzbaren Länge von 250 Metern.

Wegen der starken Steigung bis hinauf nach Hützemert kam es immer häufiger vor, dass die Dampflokomotiven die Güterzüge in Wiedenest teilen und in zwei Hälften nach Hützemert schleppen mussten. Um den Bahnhof nicht für Zugkreuzungen zu blockieren, rangierte man den zweiten Teil des Güterzugs auf das Abstellgleis bis die Lok von Hützemert zurückkam, um ihn mit einer weiteren Fahrt nachzuholen.

Im Ladegleis wurde eine Gleiswaage eingebaut, um die Güterwagen verwiegen zu können.

 

Zeichnung Christoph Marschner

 

 

Die Unterhaltung der Eisenbahnstrecken

 

Für die Unterhaltung der Strecken waren die Bahnmeistereien zuständig. Bis in die 1930er Jahre waren es sehr kleine Dienststellen, die jeweils nur für kurze Streckenabschnitte zu sorgen hatten.

Da es für die Gleisunterhaltung kaum technische Geräte gab, mussten die Gleisbauarbeiter (auch Rotte genannt) größtenteils schwere Handarbeit leisten.

An unserer Strecke gab es zu dieser Zeit die Bahnmeistereien Finnentrop, Attendorn, Olpe, Drolshagen, Bergneustadt, Dieringhausen, Engelskirchen, Overath, Hoffnungsthal, Köln-Kalk und Köln-Deutz. Das Gebäude der Bahnmeisterei Bergneustadt entstand mit dem Bau des Bahnhofs 1895/96 und wurde im Jahr 1911 erweitert.

Der Bahnhof Wiedenest gehörte zum Unterhaltungsbereich der Bahnmeisterei Bergneustadt. Ab dem östlichen Einfahrsignal war dann die Bahnmeisterei Drolshagen zuständig.

 

Der erste Weltkrieg

 

Gleich zu Beginn des Krieges war der zivile Verkehr weitgehend zum Erliegen gekommen, der Eisenbahnbetrieb ganz auf militärische Zwecke abgestellt worden.

Auch auf unseren Strecken wurden einige Sonderzüge eingesetzt, um während der allgemeinen Mobilmachung die meisten jungen Männer an die Ost- oder Westfront zu befördern.

Die anfängliche Euphorie legte sich jedoch schnell, als im Herbst 1914 aus dem Bewegungskrieg ein lähmender Stellungskrieg wurde, der Hunderttausenden einen qualvollen Tod und Deutschland eine Niederlage auf der ganzen Linie brachte. Daran konnte auch das Hindenburg-Programm von 1916 nichts mehr ändern, in dessen Rahmen die in Deutschland verbliebenen Eisenbahnen zu Kriegszwecken regelrecht ausgeplündert wurden.

Trotzdem spielte die Eisenbahn in diesem Krieg eine weitaus bedeutendere Rolle, als in dem von 1870/71. Zwar fehlte angesichts der separatistischen Eisenbahnpolitik einzelner Länder eine zentrale Organisation des deutschen Eisenbahnwesens, dieses Handikap machte sich jedoch erst im Winter 1916/17 bemerkbar. Um dem zu begegnen, errichtete die Oberste Heeresleitung die so genannte Kriegsbetriebsleitung, was die erste einheitliche Betriebsführung für alle Eisenbahnen im Deutschen Reich bedeutete.

 

Auch im alltäglichen Leben waren die Auswirkungen des Krieges schnell zu spüren. Bereits 1915 wurden die Lebensmittel knapp. Abgesehen von den vielen Männern, die als Soldaten an der Front lagen, waren auch sämtliche Pferde eingezogen worden. Somit war die Landwirtschaft äußerst beschwerlich und nicht mehr in der Lage, die normalerweise notwendigen Ernteerträge zu erreichen.

Die noch größere Not in den Städten hatte außerdem zur Folge, dass viele Kinder auf dem Lande untergebracht wurden, um sich hier ein wenig erholen und besser ernährt werden zu können.

Der verbliebene spärliche Eisenbahnverkehr diente nun auch dem aufblühenden Tauschhandel und den so genannten Hamsterfahrten.

 

Um die Verkehrsverbindungen innerhalb der Gemeinde Wiedenest zu verbessern, wurde im Frühjahr 1918 der Bau einer Straße von Wiedenest nach Belmicke ausgeschrieben, die durch das Sülemicker Tal und anschließend mit zwei Spitzkehren auf die Höhe des benachbarten Bergdorfes führen sollte. Die Ausführung wurde aber ebenfalls verschoben, da sich die Kriegsereignisse dramatisch zuzuspitzen begannen.

 

Nach den Revolten der Marine in Wilhelmshaven und Kiel am 1. und 3. November 1918 überschlugen sich die Ereignisse. Am 9. November wurde die Republik ausgerufen, am 10. November floh Kaiser Wilhelm II nach Dorn in Holland und am 11. November wurde ein Waffenstillstandsabkommen zwischen den Deutschen und den Alliierten unterzeichnet. Dies fand übrigens in einem Speisewagen mit der Nr. 2419 D im Wald von Compiegne statt, der dort auf den Gleisen der französischen Eisenbahnartillerie stand.

Der Speisewagen 2419 D machte auch weiterhin Geschichte. In ihm nahm Hitler am 22. Juni 1940 die Kapitulation Frankreichs entgegen und anschließend wurde der Wagen am Brandenburger Tor in Berlin aufgestellt. 1944 wurde dieser Wagen dann zunächst evakuiert und kurze Zeit später vor dem Heranrücken der Amerikaner durch deutsche Soldaten in die Luft gesprengt. In der Gedenkstätte von Compiegne steht heute eine Nachbildung dieses Wagens.

 

Nun begann der rasche Rückzug der Soldaten. Da die Eisenbahn arg heruntergewirtschaftet war und nicht über genügend Kapazitäten verfügte, zogen hunderte Fuhrwerke auf der Köln-Olper-Straße gen Osten durch das Dörspetal.

Das Resultat des Krieges war verheerend. Allein in der Gemeinde Wiedenest kehrten 40 Soldaten nicht mehr zurück. Große Teile des Landes, vor allem linksrheinisch, waren von den Alliierten besetzt und die Reparationsforderungen in Form von Industrieanlagen und Rohstoffen waren geradezu ruinös.

Nach dem Versailler Vertrag hatte Deutschland von den noch verbliebenen Anlagen an die Siegermächte mehr als 8.000 Lokomotiven, über 13.000 Personen- und 280.000 Güterwagen abzuliefern. Mit den Gebietsabtretungen waren Streckenverluste von 8.064 km verbunden. Selbstverständlich wurden damit auch die ehemals deutschen Eisenbahndirektionen Danzig, Bromberg, Posen, Kattowitz und Straßburg aufgelöst.

Der Mangel an Fahrzeugen und der heruntergewirtschaftete Zustand der Bahnanlagen ließ den Eisenbahnverkehr nur mühsam wieder in Gang kommen. Man improvisierte und behalf sich so gut es ging. Fast überall war das Fahrplanangebot stark eingeschränkt. Auf der Strecke Dieringhausen - Olpe gab es nur noch drei durchgehende Züge in jede Richtung. Von 1920 bis 1923 wurde der Personenzugverkehr an Sonn- und Feiertagen völlig eingestellt, da man nun die Loks für den Güterverkehr einsetzte, oder Wartungsarbeiten durchführte.

 

 

Auszug aus dem Kursbuch von 1919. Slg. Christoph Marschner

 

In der Fahrplantabelle befindet sich auch ein Zug mit der Nr. 1824. Dieser verkehrte an Samstagen von Olpe nach Derschlag, wobei es sich um einen Güterzug handelte, an den ein Personenwagen angehängt war. Da er samstags auf den Unterwegsbahnhöfen bis Derschlag nicht rangierte, sondern nur lose Stückgüter aufnahm, war er der ideale Kinozug. Er verkehrte in dieser Form von 1919 bis 1925.

 

Da Deutschland nun Republik geworden war und die Eisenbahnhaushalte der Länder ein Defizit in Höhe von 4,95 Milliarden Goldmark ausmachte, das bis 1920 noch auf ca. 8 Milliarden anstieg, waren die Länder nun zunehmend bereit, die Eisenbahnen an das Reich zu übertragen. Dies war bereits im Artikel 89 der Weimarer Verfassung so festgelegt und trat am 1. April 1920, ein Jahr früher als geplant, in Kraft.

 

Die ersten der so genannten goldenen zwanziger Jahre waren noch überschattet von der schlechten wirtschaftlichen Lage, der hohen Arbeitslosigkeit und der rasant fortschreitenden Inflation. Damit das wirtschaftliche Leben wenigstens einigermaßen erträglich blieb, wurden die Reparationsleistungen an die  Franzosen und Belgier zugunsten der deutschen Betriebe verschleppt. In dem sich daraus entwickelnden Wirtschaftskrieg spielte die Eisenbahn als einziges Massentransportmittel wiederum eine entscheidende Rolle, die sich zum Teil auch in unserer Heimat abspielte.

 

Um die Kohleablieferungen gewaltsam zu steigern, besetzten französische Truppen große Teile des Ruhrgebietes und erzwangen die Abfahrt der Kohlezüge in westliche Richtung, womit sie nach Belgien und Frankreich gelangen sollten. Die Eisenbahner im Ruhrgebiet versuchten mit Sabotageakten ein Ausbluten der deutschen Wirtschaft zu verhindern und so gelang es schließlich, die Rheinbrücken bei Düsseldorf und Duisburg so stark zu beschädigen, dass sie unbenutzbar wurden. Die nächsten Rheinbrücken befanden sich in Köln, wo die Engländer den rechtsrheinischen Bereich etwa von Siegburg bis Solingen besetzt hielten und deren Gebiet reichte in östliche Richtung bis Engelskirchen.

Da die Engländer mit der Besatzungs- und Reparationspolitik der Franzosen nicht einverstanden waren, halfen sie den Deutschen und machten sich sogar eine Freude daraus, den Franzosen ein Schnippchen zu schlagen wo immer sie konnten.

Wenn die Kohlezüge nun vom Ruhrgebiet über englisches Besatzungsgebiet in Richtung Köln roll- ten, wo sie den Rhein gen Westen überqueren sollten, wurden sie vor Erreichen der Rheinbrücken kurzerhand nach Osten umgeleitet und den unbesetzten Teilen Deutschlands zugeführt.

Dies geschah zunächst von Mülheim aus über Troisdorf und die Siegstrecke. Die Franzosen erkannten dies mit Argwohn und besetzten ihrerseits einen Gebietsstreifen bei Hennef und Hückeswagen sowie den Bahnknoten Hagen-Hengstey. Damit glaubten sie sämtliche Transportwege in die falsche Richtung abgeschnitten zu haben. Dies hatte jedoch auch nicht den gewünschten Erfolg. Es blieben noch die eingleisigen Nebenbahnen, die in und durch das oberbergische Land führten und diese sollten nun die gewaltigste Verkehrslast ihrer Geschichte übernehmen.

Von Köln und von Hagen, vorbei am besetzten Güterbahnhof Hengstey rollten nun ab Februar 1923 über die Volmetal- und Aggertalbahn pausenlos schwere Kohlezüge in das Oberbergische. Um sie kapazitätsmäßig durchzubringen, wurde etwa ein Drittel der Züge von Osberghausen über Hermesdorf, Morsbach und Wissen geleitet. Mehr konnte diese Strecke nicht verkraften, da die Züge drei Mal kopfmachen und umgespannt werden mussten. Die meisten dieser Züge nahm schließlich die Strecke Dieringhausen - Wiedenest - Olpe auf, wo sie entweder über Freudenberg - Betzdorf oder Attendorn - Finnentrop weitergeführt wurden.

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Ein Zeitzeuge berichtete mir: Tag für Tag und Nacht für Nacht fuhren die schweren Kohlenzüge in östliche Richtung. Sie waren so lang, dass sie mit zwei oder drei Lokomotiven gezogen und geschoben werden mussten. Dazu kamen die Züge mit den leeren Wagen in Gegenrichtung. Es war ein ständiges Auf- und Abschwellen der donnernden Auspuffstöße bergwärts arbeitender Dampflokomotiven, die das ganze Tal erfüllten.

Um die Züge auf der kurven- und steigungsreichen Strecke durchzubringen, wurde das Personenzugangebot auf drei Zugpaare an Werktagen reduziert. Besonders auf dem Abschnitt Bergneustadt - Wiedenest - Hützemert, wo die stärksten Steigungen mit einem Verhältnis 1:50 und 1:40 zu bewältigen waren, mussten die Züge je nach Last und den zur Verfügung stehenden Lokomotiven mit Vorspann- und Schiebelok gefahren oder geteilt und in zwei Teilen hinauf bis Hützemert befördert werden. Es gab in dieser Zeit kaum eine Minute, in der kein Zug zwischen zwei Bahnhöfen unterwegs war.

 

Da in Dieringhausen und Olpe nicht genügend Loks zur Verfügung standen, um diesen Verkehr zu bewältigen, kamen auch Maschinen der Betriebswerke Hagen, Brügge, Köln, Bensberg, Siegen , Betzdorf, Bestwig und Finnentrop zum Einsatz und somit auch Lokomotivgattungen, die bis dahin auf dieser Strecke fremd waren.

 

Schon nach kurzer Zeit reagierten die Franzosen mit der Besetzung eines weiteren so genannten Brückenkopfes bei Ründeroth. Damit fiel auch die Aggertalbahn für die Kohlezüge aus und es verblieben nur noch der Transportwege von Wuppertal über Radevormwald und Brügge (Westf.) sowie von Hagen über Brügge (Westf.) nach Dieringhausen und weiter über Olpe oder Morsbach.

 

Eine Aktennotiz des Bürgermeisters von Bergneustadt aus dem Stadtarchiv berichtet von seinen Bemühungen um eine Verbesserung des Personenverkehrs im Jahr 1923.

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Diese Situation dauerte zehn Monate an und endete im Dezember 1923. Die französischen Besatzer mussten erkennen, dass sie mit ihren Maßnahmen mehr Schaden als Nutzen für sich selbst angerichtet hatten. Die Besetzung des Ruhrgebietes wurde aufgehoben und der Eisenbahnbetrieb konnte sich zu Beginn des Jahres 1924 allmählich wieder normalisieren.

Die Zahl der Personenzüge wurde nach massiven Forderungen der Städte und Gemeinden in den Fahrplanbesprechungen wieder auf den Stand vor dem 1. Weltkrieg erhöht. Der Oberbau der Strecken war durch die vielen schweren Züge arg in Mitleidenschaft gezogen und musste gründlich aufgearbeitet werden, was in den Folgejahren auch geschah.

 

Das Fahrplanangebot hatte in etwa den Umfang wie vor dem Krieg wieder erreicht. Die durchgehenden Verbindungen über Olpe hinaus bis Finnentrop oder gar Bestwig wurden hingegen nicht wieder aufgenommen und machten ein Umsteigen in Olpe erforderlich. Da nützte eine ausführliche Eingabe des Kreises Olpe nichts, der sich nochmals um ein durchgehendes Personenzugpaar zwischen Köln und Kassel über Olpe bemühte.

Nachdem die ehemaligen Länderbahnen am 1. April 1920 in das Eigentum des Reiches übergegangen waren und sich die Währung durch Einführung der Rentenmark am 16. November 1923 zu stabilisieren begann, wurde im Zusammenhang mit den Reparationszahlungen am 12. Februar 1924 das Unternehmen "Deutsche Reichsbahn" gegründet. Die Reichsbahn hatte sich nun selbst zu finanzieren. Ein Plan des amerikanischen Finanziers Charles Dawes sah vor, dass die Reichsbahn als Sicherheit für die Reparationszahlungen an die Alliierten herhalten musste. Eine Kommission legte den Kapitalwert der Reichsbahn auf 26 Milliarden Goldmark fest und errechnete, dass die Reichsbahn bis zum Jahr 1964 jährlich 660 Millionen Mark zu zahlen hatte.

Organisatorisch wurde dies dadurch umgesetzt, dass am 30. August 1924 die "Deutsche Reichsbahn Gesellschaft" (DRG) gegründet wurde, der das Betriebsrecht über die Eisenbahn übertragen wurde und in deren Verwaltungsrat vier ausländische Mitglieder und ein Kontrollkommissar saßen. Die deutsche Eisenbahn war so gewissermaßen verpfändet, bis im Abkommen von Lausanne im Jahr 1932 die Zahlungsverpflichtungen aufgehoben wurden.

Die Unternehmensform als DRG bewährte sich und trotz der finanziellen Lasten gelang es dem jungen Unternehmen bis 1936 einen Überschuss in Höhe von 5,346 Milliarden Reichsmark zu erwirtschaften.

Um den Verlust der requirierten Lokomotiven und Wagen auszugleichen, wurden wirtschaftliche Einheitsbauarten entwickelt und in Dienst gestellt. Bei den Lokomotiven begann dies 1925 mit der erfolgreichen Schnellzuglok der Baureihe 01, der auch andere Baureihen von Personen- und Güterzuglokomotiven folgten.

 

 

Diese qualitativ nicht so gute Aufnahme zeigt den Bahnhof Wiedenest und einen Teil des Ortes um 1920. Slg: Chr. Marschner

 

Der Wiederaufbau und die inzwischen neu eingeführte Reichsmark, die die kurzlebige Rentenmark ablöste, sorgten für einen wirtschaftlichen Aufschwung, der auch der Eisenbahn eine neue Blütezeit  bescherte.

Am Bahnhof Wiedenest erreichte 1924 der Güterverkehr wieder 5.614 Tonnen im Empfang und 2.179 Tonnen im Versand. Die Zahl der verkauften Fahrkarten stieg auf 21.925. Am Haltepunkt Pernze wurden durch die Bahnagentur im Haus Möthe 4.690 Fahrkarten verkauft, deren Lieferung und Abrechnung über den Bahnhof Wiedenest erfolgte.

 

Trotz der erzielten Überschüsse der DRG wurde durch die Geschäftspolitik des Kontrollkommissars nur zögerlich investiert. Während die Erweiterung des Bahnbetriebswerks Dieringhausen noch unter Schwierigkeiten in den ersten Nachkriegsjahren fertig gestellt werden konnte, ging es an den Strecken und Bahnhöfen nur langsam voran. Am Bahnhof Wiedenest wurde 1924 das Nebengebäude mit dem so genannten Abort und dem Stall des Dienstvorstehers, an den bereits 1910 ein Anbau erfolgte, um zwei Räume für die Bahnmeisterei erweitert. Außerdem wurde am Bahnsteig 1 zwischen Bahnhofs- und Nebengebäude eine Sitzbank aufgestellt.

 

Im Jahr 1926 erhielt der auf dem Berg liegende Nachbarort Belmicke den ersten Anschluss an die Elektrizität. Dazu wurde eine Überlandleitung über den Laubberg errichtet, die etwa über die Mitte des Wiedenester Bahnhofsgeländes hinwegführte. Dazu stellte die Reichsbahndirektion Elberfeld die nachfolgend abgebildete Verleihungsurkunde aus.

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Zum Sommerfahrplan 1926 wurden erstmals Sonntagsausflugszüge eingesetzt, die einen Tagesausflug in das Oberbergische Land und in das benachbarte Sauerland ermöglichten. Sie waren noch mit dem Vermerk "verkehrt nur bei günstiger Witterung" im Kursbuch versehen.

Zum Winterfahrplan 1926/27 versuchte die Reichsbahndirektion Elberfeld die lange geforderten Verkürzungen der Reisezeiten zu erreichen. Statt die Geschwindigkeit der Züge zu erhöhen, versuchte man es mit der Aufgabe verschiedener Zughalte. So geschah es auch mit zwei Zugpaaren, die in Pernze nicht mehr hielten. Einer Eingabe des Gemeindevertreters Blöink aus Pernze war es jedoch zu verdanken, dass zumindest für einen Frühzug nach Olpe der Halt wieder eingerichtet wurde.

 

 

 

Die beiden Aufnahmen sind zu Beginn der 1920er Jahre entstanden und erhalten geblieben. Slg. Christoph Marschner

 

Im Jahr 1927 wurde offiziell die moderne Zeiteinteilung von 0 Uhr bis 24 Uhr eingeführt. Dadurch wurde das Lesen von Fahrplänen viel einfacher. Um die Zeiten zwischen Vor- und Nachmittag unterscheiden zu können, waren vorher die Minuten zwischen 6 Uhr abends und 5.59 Uhr morgens hochgestellt und unterstrichen, was bei dem Durchlauf der Stunden von 0 bis 24 nun nicht mehr notwendig war. Wie lange die Macht der Gewohnheit jedoch anhalten kann, erkennt man daran, dass viele Leute auch heute noch zum Beispiel von 4 Uhr Nachmittag sprechen, statt von 16 Uhr.

 

Mit Inkrafttreten des Sommerfahrplans legte die Reichsbahn zum ersten Mal ein beschleunigtes Personenzugpaar zwischen Köln und Hagen über Dieringhausen ein, der erstmals auch von und nach Köln Hauptbahnhof fuhr, statt  wie bei allen anderen Zügen von und nach Köln-Mülheim.

Das war der Anfang einer Verlagerung durchgehender Verbindungen zwischen Köln und Olpe auf die Richtung Hagen. In Olpe, Drolshagen, Wiedenest und Bergneustadt nahm man diese Tendenz sehr ungehalten auf und es kam zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen den genannten Orten und der Stadt Gummersbach, die diese Entwicklung gefördert hatte.

Der nachstehende Artikel aus dem "Sauerländischen Boten" im März 1927 beschreibt das damals herrschende Klima:

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Das Jahr 1928 war das Jahr, in dem der Bau der Aggertalsperre begann. Eine solche Großbaustelle mit der mächtigen Staumauer oberhalb von Dümmlinghausen war für diese Gegend schon etwas Besonderes und zog an den Wochenenden zahlreiche Schaulustige an. Viele dieser Ausflügler kamen mit den Zügen bis Wiedenest oder Pernze. Von hier aus wanderten sie ins Rengsetal und weiter zur Baustelle der Staumauer. Von Dümmlinghausen fuhren sie dann mit der elektrischen Straßenbahn nach Derschlag und von dort mit dem Zug wieder nach Hause.

An der Großbaustelle der Aggertalsperre waren viele auswärtige Arbeiter und Fachkräfte beschäftigt, von denen die meisten aus dem Kölner Raum anreisen mussten. Um diesen Leuten an den Wochenenden eine Heimfahrt zu ermöglichen, setzte die Reichsbahn eigens zu diesem Zweck die so genannten Talsperrenarbeiterzüge ein, die aber auch von anderen Reisenden benutzt werden konnten. Der eine fuhr samstags von Derschlag nach Köln, der andere montags von Köln nach Derschlag. Da diese Züge nur an ganz wenigen Stationen hielten, waren sie die schnellsten Verbindungen die es je auf dieser Strecke gab.

Ob die Züge über die Gleisverbindung in Derschlag auf die Kleinbahnstrecke nach Dümmlinghausen geleitet wurden, lässt sich leider nicht nachweisen. Es wäre jedoch sinnvoll und möglich gewesen.

Nach der Fertigstellung der Talsperre im Jahr 1929 verschwanden die Züge wieder aus den Fahrplänen aber mit ihrem Beispiel verstärkte sich erneut der Wunsch nach attraktiven Eilzugverbindungen.

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Slg. Christoph Marschner

 

Gegen Ende der zwanziger Jahre begann die deutsche Wirtschaft zusehends in eine Krise zu geraten, was sich mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit bemerkbar machte.

In dieser Zeit kam es auch zu einer Kommunalreform, in deren Folge die Gemeinde Wiedenest ihre Selbstständigkeit verlor.

Am 22. November 1928 verfügte das Preußische Staatsministerium des Inneren:

 

"Mit Wirkung vom 1. Januar 1929 ab werden die Landgemeinden Wiedenest und Lieberhausen, Kreis Gummersbach, zu einer Landgemeinde zusammengeschlossen. Die neue Landgemeinde erhält den Namen Lieberhausen."

Mit dieser Tatsache konnten die Bewohner des oberen Dörspetales und des Othetales nicht sonderlich zufrieden sein, hätte sich Wiedenest als zentraler Ort mit guter Verkehrsanbindung doch besser als Verwaltungssitz geeignet, als das abgeschiedene Lieberhausen.

 

Trotz der beginnenden Weltwirtschaftskrise und der steigenden Arbeitslosigkeit befand sich der Eisenbahnverkehr in einer Blütezeit. Die Zahl der verkauften Fahrkarten betrug im Jahr 1929:

 

in Wiedenest                                        32.300 Stück

in Pernze                                                 9.713 Stück

in Bergneustadt                                 104.880 Stück

 

der Güterumschlag bei Frachtgut ohne Wagenladungen betrug:

 

in Wiedenest                                      11.182 Tonnen

in Bergneustadt                                  19.889 Tonnen

 

Da besonders in Niederseßmar, Derschlag und Drolshagen viele Waggons aus den Steinbruchbetrieben anfielen, verkehrten werktags inzwischen vier Güterzüge in jede Richtung, die meistens zwischen Bergneustadt und Hützemert nur mit einer zweiten Zuglok oder einer Schiebelok zu bewältigen waren.

Die Güterzüge waren jeweils einige Stunden auf der Strecke unterwegs. Auf den Unterwegsbahnhöfen mussten sie das Rangiergeschäft erledigen und oft Zugkreuzungen oder Überholungen abwarten.

In Wiedenest musste meistens über die südwestliche Bahnhofsausfahrt rangiert werden, wo das Streckengleis in das Gefälle in Richtung Bergneustadt überging. Dies war ein schwieriges Geschäft, denn es forderte von Lok und Mannschaft harte Arbeit. Stand ein bergwärts fahrender Güterzug in Wiedenest zur Abfahrt bereit, musste der Heizer gut gefeuert haben, damit die Lok auf der langen Steigung genügend Dampf hatte. Dabei kam es oft vor, dass sich das Überdruckventil der Lok öffnete, um den überschüssigen Dampf abzublasen, was im ganzen Tal zu hören war.

Wenn der Abfahrauftrag gegeben war und der Lokführer den Regler öffnete, entfaltete sich die ganze Kraft der Maschine. Mit lauten Auspuffschlägen, die durch das ganze Tal hallten, setzte sich der bis zu 400 Meter lange Zug in Bewegung und arbeitete sich langsam auf der 1:40 Steigung am Talhang hinauf, bis er im Schlund des Wegeringhauser Tunnels verschwand.

Manchmal kam es vor, dass es eine Lok nicht schaffte. Es lag dann entweder daran, dass der Dampfdruck unterwegs zu stark abnahm, zum Beispiel bei schlechter Kohle, oder die Reibung bei schlüpfrigen Schienen schlecht war und der Sandvorrat zum Streuen nicht ausreichte. Dann setzte der Zug langsam in den Bahnhof Wiedenest zurück und nahm einen neuen Anlauf, nachdem einige Wagen abgehängt und auf das Abstellgleis rangiert wurden. Die problematischsten Jahreszeiten waren der Herbst bei feuchtem Laub auf den Schienen und der Winter bei starkem Schneefall.

 

Link zu: Bahnhofsfahrordnung Wiedenest Winter 1929/30

 

Zum Sommerfahrplan ab 15. Mai 1931 gab die Reichsbahn dem steten Drängen nach beschleunigten Zügen nach und setzte erstmals vier Eilzüge in dieser Region ein, die täglich verkehrten. Sie wurden alle von der preußischen P8, einer Personenzug-Schlepptenderlok der Baureihe 38 gezogen und verkehrten nach folgendem Fahrplan:

 

 E 318                                                                           E 317

 Olpe ab                                         09.59                    Köln Hbf ab                                        21.54

 Drolshagen ab                           10.11                    Köln Deutz ab                                    21.58 

 Wiedenest ohne Halt                  10.25                    Hoffnungsthal ab                              22.21

 Bergneustadt ab                        10.31                    Overath ab                                          22.33

 Derschlag ab                              10.40                    Engelskirchen ab                              22.50

 Dieringhausen ab                      10.50                    Ründeroth ab                                     22.57

 Osberghausen ab                      10.59                    Dieringhausen an                             23.04

 Ründeroth ab                              11.05                    Dieringhausen ab                             23.06

 Engelskirchen ab                       11.12                    Gummersbach an                             23.13

 Overath ab                                   11.32                   

 Hoffnungsthal ab                       11.42                    E 367

 Köln Deutz ab                             12.04                    Wuppertal-Elberfeld ab                     21.03

 Köln Hbf an                                 12.08                    Wuppertal-Barmen ab                        21.08

                                                                                       Wuppertal-Oberbarmen ab               21.15

 E 366                                                                           Remscheid-Lennep ab                       21.32

 Dieringhausen ab                      14.00                    Bergisch-Born ab                                21.39

 Gummersbach ab                      14.09                    Hückeswagen ab                                 21.52

 Marienheide ab                           14.22                    Wipperfürth ab                                     22.00

 Ohl-Rönsahl ab                           14.32                    Marienheide ab                                    22.27

 Wipperfürth ab                            14.43                    Gummersbach ab                                22.40

 Hückeswagen ab                       14.51                    Dieringhausen an                                22.48

 Bergisch-Born ab                       15.03                    Dieringhausen ab                               23.12

 Remscheid-Lennep ab              15.10                    Derschlag ab                                       23.21

 Wuppertal-Oberbarmen ab      15.25                    Bergneustadt ab                                 23.30

 Wuppertal Barmen ab               15.29                    Wiedenest ohne Halt                           23.35

 Wuppertal-Elberfeld an             15.34                    Drolshagen ab                                    23.50

                                                                                       Olpe an                                                  00.03

 

Durch diese neuen Eilzüge wurde Wiedenest leider keine Eilzugstation, da diese hier nicht hielten. Es stellte sich aber bald heraus, dass sie zwischen Dieringhausen und Olpe nicht zur richtigen Zeit verkehrten und dadurch nicht ausreichend ausgelastet waren. Statt sie günstiger zu legen, wurden sie nach nur zwei Jahren wieder gestrichen. Der Zuglauf Wuppertal - Olpe mit Umspannen in Dieringhausen war und blieb eine Ausnahme, die sich nicht wiederholen sollte.

 

Die zweite Vorkriegszeit

 

Die Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs waren infolge des Wiederaufbaus nach dem ersten Weltkrieg nur von kurzer Dauer. Die kaum zehn Jahre alte Demokratie in Deutschland zerfiel in eine zersplitterte Parteienlandschaft und machte eine effektive Regierungsarbeit unmöglich.

Die Wirkung blieb auch nicht aus. Die deutsche Wirtschaft brach zusammen, wodurch die Arbeitslosigkeit und Armut enorm anstiegen.

Dies wirkte sich nun auch auf die Transportleistung der Eisenbahn aus. Zu Beginn der dreißiger Jahre ging vor allem der Güterverkehr drastisch zurück. 100.000 Güterwagen und 3.000 Lokomotiven mussten mangels Aufkommens abgestellt werden.

Begünstigt von dieser allgemeinen Entwicklung kam es 1933 zur Machtübernahme der Nationalsozialisten mit Adolf Hitler an der Spitze und obwohl sehr bald zu erkennen war, dass die Demokratie auf der Strecke bleiben würde, gelang den neuen Machthabern zunächst eine Wende der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Motor der Konjunktur wurde die aufblühende Rüstungsindustrie. Von 1932 bis 1936 stieg das Güteraufkommen der deutschen Eisenbahnen um 100%, die nun nicht nur voll beschäftigt, sondern vielfach sogar überlastet war.

Es mag paradox klingen aber 1933 wurde der Reichsbahn per Gesetz auferlegt, ein Zweigunternehmen zu errichten: die Gesellschaft "Reichsautobahnen".

Unter dem Vorwand der Arbeitsbeschaffung sollte zunächst ein Grundnetz von 7.000 Kilometer Autobahn gebaut werden, von denen jährlich ein Soll von 1.000 km fertig zustellen beabsichtigt war.

Aus damaliger Sicht war es keineswegs überraschend oder gar unlogisch, den Fernstraßenbau in die Hände der Eisenbahn zu legen. Angesichts der in Wahrheit propagandistischen und strategischen Bedeutung dieses Vorhabens brauchte das NS-Regime die gleichermaßen schlagkräftige wie erfahrene Organisation des Großunternehmens Reichsbahn.

Zur weiteren Begründung hieß es in dem Gesetz:

"Die Führung auf dem Gebiet der Reichsautobahn ist der Reichsbahn zugedacht, weil der Streit zwischen Schiene und Kraftwagen letzten Endes nur dadurch beizulegen ist, daß der gesamte gewerbliche Güterfernverkehr einheitlicher Leitung unterstellt wird."

Ferner sollte die Eisenbahn-Tochter das Recht haben, Autobahngebühren zu erheben, wozu es allerdings nie kam, da die organisatorische Gemeinsamkeit von Autobahn und Eisenbahn während des zweiten Weltkrieges beendet wurde.

 

Von den bedeutenden Überschüssen der Reichsbahn konnten aber nicht nur die ersten Autobahnen gebaut werden. Der Ausbau unserer Eisenbahnstrecken konnte davon auch profitieren.

 

 

Um 1930 lichtete Karl Warns am Rande des Wiedenester Friedhofs diesen Personenzug von Olpe nach Köln ab.

Foto: Slg. Christoph Marschner

 

Im Jahr 1937 erschien eine neue Ausgabe des Koch`schen Stationsverzeichnis, einem dicken Nachschlagewerk, in dem sämtliche Bahnstationen in Europa mit einigen wichtigen Angaben enthalten sind. Für den heutigen Oberbergischen Kreis waren es allein 57 Bahnhöfe, 9 Haltestellen, 49 Haltepunkte. Ferner bestanden circa 35 Gleisanschlüsse verschiedener Firmen.

 

Auszug aus dem Kosch`schen Bahnhofsverzeichnis, die Stationen der Strecke Köln - Olpe. Slg. Christoph Marschner

 

1939 gab es für den Bahnhof Wiedenest einen Wechsel des Bahnhofsvorstehers. Der bisherige Vorsteher, Reichsbahn-Sekretär Dörpinghaus, wurde Vorsteher beim Bahnhof Bergneustadt, was wegen der um eine Stufe höheren Rangklasse des Nachbarbahnhofs einer Beförderung zum Reichsbahn-Obersekretär gleichkam. Seine Nachfolge trat in Wiedenest Karl Köster an, der allerdings schon vorher als Reichsbahn-Assistent einige Jahre Dienst in Wiedenest geleistet hatte und nun mit seiner Familie in das Bahnhofsgebäude einzog.

 

Gegen Ende der dreißiger Jahre erlebte auch Wiedenest einen wirtschaftlichen Aufschwung. Am Schlöten, gleich neben der Firma Pieper & Keller war die Firma Schriever & Häner entstanden. Es war die erste Fabrik im oberen Dörspetal, die Stahl und Eisen verarbeitete und nannte sich Press- und Stanzwerk.

Dadurch war eine gute Zahl an neuen Arbeitsplätzen entstanden. Arbeiter, die bis dahin in der Eisen- und Stahlindustrie des benachbarten Sauerlandes beschäftigt waren, hatten nun einen Arbeitsplatz vor der Haustür und erstmals pendelten Beschäftigte von außerhalb nach Wiedenest.

Die neue Firma bekam sehr bald auch Aufträge von der Reichsbahn und stellte Teile für Achslager von Güterwagen sowie Teile für den Gleisbau her. Die Rohmaterialien in Form von schweren Stahl- und Blechplatten kamen auf Rungen- und Flachwagen beim Bahnhof Wiedenest an. Die fertigen Teile gingen teils als ganze Waggonladungen oder als Stückgut in Kisten auf die Reise zum Besteller.

Der Transport der schweren Güter zwischen Bahnhof und Fabrik war umständlich und teuer. So wurde 1942 ein Gleisanschluss vom Bahnhof zur Fabrik beantragt, um die Waggons gleich im Materiallager ent- oder beladen zu können. Kriegsbedingt wurde der Antrag jedoch abgelehnt und der Gleisanschluss konnte erst im Juli 1953 mit gebrauchtem Gleismaterial der Gummersbacher Kleinbahn realisiert werden.

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Die Zeit des zweiten Weltkriegs

 

Am 1. September 1939 begann mit dem Polenfeldzug der zweite Weltkrieg. Dass die Eisenbahn von Anfang an strategisch in die Ereignisse eingebunden war, spürte man bald. Da viele Fahrzeuge in Richtung Osten abgezogen wurden und man andererseits Reserven für Nachschubtransporte frei machen wollte, erschien zum 1. Dezember 1939 außerhalb der normalen Periode ein neues Kursbuch, in dem der gesamte Personenverkehr in Deutschland erheblich zusammengestrichen wurde.

Während auf unserer Strecke von bisher zehn Zugpaaren nur noch sechs verblieben waren, fiel die Reduzierung auf anderen Strecken teilweise noch drastischer aus.

Die Folgen dieser plötzlichen Ausdünnung waren allerdings katastrophal. Die wenigen Züge waren meist hoffnungslos überfüllt, viele Pendler konnten ihre Arbeitszeiten nicht mehr einhalten usw.

Um der Wirtschaft und der weit verbreiteten anfänglichen Euphorie in der Bevölkerung nicht zu schaden, stellte die Reichsbahn  bereits zum 21. Januar 1940 ein neues Kursbuch zusammen, in dem der alte Zustand nahezu wiederhergestellt wurde. Dies war unter anderem dadurch möglich, dass der deutschen Wehrmacht in Polen mehr einsatzbereite Fahrzeuge in die Hände fielen, als man geglaubt hatte.

 

Gegen Ende des Krieges hatte das BW Dieringhausen auch Loks zu stellen, um zahlreiche Wehrmachts- und Güterzüge zu bespannen, die von Köln aus über die West-Ost-Verbindung Dieringhausen - Olpe - Finnentrop - Bestwig und weiter nach Mittel- und Ostdeutschland geleitet wurden, weil die Hauptstrecken immer häufiger das Ziel alliierter Luftangriffe wurden und entlastet werden mussten.

 

Als Ost-Westverbindung hatte die Strecke Köln - Olpe - Finnentrop - Meschede somit eine strategisch wichtige Bedeutung. Es ist auch mehrfach überliefert, dass im Bereich Wiedenest und Hützemert 1944 ein Wagen mit aufgebautem Artillerie-Geschütz stationiert war, um die Zugfahrten vor gegnerischen Angriffen zu schützen.

Da die meisten Firmen auch oder vor allem für die Rüstung und den Nachschub arbeiteten, lief der Güterverkehr in vollem Umfang weiter. Um den Güterwagenpark besser auslasten zu können, mussten die Be- und Entladezeiten verkürzt werden. Die dazu in ganz Deutschland angeordneten Maßnahmen wurden in Wiedenest gemäß nachfolgender Anordnung und Bekanntmachung geregelt:

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Bereits in den dreißiger Jahren hatte man damit begonnen, die Gütertransporte zu beschleunigen und die Umläufe der Güterzugloks zu optimieren, die bis dahin viel Zeit mit Rangieraufgaben auf den Unterwegsbahnhöfen zubrachten. Um dies zu vermeiden, beschaffte die Reichsbahn nach und nach größere Stückzahlen so genannter Kleinlokomotiven mit Diesel-Verbrennungsmotor in verschiedenen Ausführungen. Im Jahr 1940 wurde eine solche Kleinlok vom Typ Kö der Leistungs- klasse 1 auch dem Bahnhof Bergneustadt zugeteilt. Sie konnte über Nacht im großen Lokschuppen abgestellt und zum Rangieren von örtlichem Bahnhofspersonal bedient werden, da für Kleinloks keine richtigen Lokführer, sondern nur entsprechend eingewiesene Kleinlokbediener erforderlich waren. Diese neue Kö übernahm nun sämtliche Rangieraufgaben in Bergneustadt. Die Güterzüge brauchten fortan nur noch zu halten, um die für Bergneustadt bestimmten Wagen auszusetzen bzw. die bereitgestellten Ausgangswagen aufzunehmen. Ähnliche Kleinlokeinsätze sind in dieser Zeit auch in Radevormwald, Osberghausen, Marienheide, Meinerzhagen, Lüdenscheid, Marienheide, Attendorn und Morsbach bekannt.

 

Wie aus verschiedenen Unterlagen zu entnehmen ist, kam die Bergneustädter Kö einmal täglich nach Wiedenest und Derschlag, um hier einen Teil der Rangierarbeiten zu erledigen.

Der Einsatz von Kleinloks bewährte sich. Allein auf den Bahnhöfen Bergneustadt, Derschlag und Wiedenest konnten täglich circa 8 bis 10 Leistungsstunden von Güterzugloks und dem dazugehörigen Personal eingespart bzw. anderweitig eingesetzt werden.

Um die stark beanspruchte Wiedenester Rampe und die sich hier langsam den Berg heraufquälenden Züge zu sichern, wurde im Herbst 1944 ein schweres Flakgeschütz auf Eisenbahnwagen im Bahnhof Hützemert stationiert. Dieses hatte die Aufgabe, den Zugverkehr gegen Luftangriffe zu schützen. Dafür wurden auf der Laderampe in Hützemert die Mannschaftswagen abgestellt. Das Geschütz wurde so oft es ging im nahen Wegeringhauser Tunnel sicher abgestellt, um es so selbst vor Angriffen zu schützen. Natürlich wurden die Mannschafts-wagen zum beliebten Ziel der Dorfjugend, wurden die Truppen doch direkt von Frankreich hierher verlegt. Kam man mit den Soldaten nicht ins Tauschgeschäft, so gab es noch eine andere Methode, schließlich waren die Wagen nur durch einen Posten gesichert. War der auf der einen Seite der Wagen konnte man ungesehen hinein gelangen ... .

Die Reichsbahn nutzte die vermeintliche ländliche Sicherheit; sie quartierte die Werkfeuerwehr des Reichsbahnausbesserungswerkes Opladen im Bahnhofsgebäude Wiedenest und die Nachrichtenmeisterei Köln in der Nähe des Bahnhofs in provisorischen Baracken ein.

Ab 1942 wurden auch viele Eisenbahner zum Kriegsdienst einberufen. Um den dadurch entstandenen Personalmangel zu lindern, wurden Frauen nach einer kurzen Ausbildung an den Bahnhöfen eingesetzt. Die Aufnahme zeigt Irmgard Kreis, aus Hützemert, die von 1943 bis 1945 als Fahrdienstleiterin am Bahnhof Wiedenest eingesetzt wurde.                  Foto: Irmgard Stein geb. Kreis

Aus den Kriegsjahren 1940 bis 1944 ist der Transport von Soldaten, Nachschub und Munition überliefert. Ab 1941 wurden zahlreiche Güterzüge von Köln über Dieringhausen und Olpe in Richtung Bestwig an der oberen Ruhrtalbahn umgeleitet, da die Hauptstrecken im Ruhrgebiet zunehmend aus der Luft angegriffen wurden.

Die Fahrpläne änderten sich unregelmäßig und wurden an die jeweiligen Umstände angepasst. Einige Züge verkehrten laut Fahrplan nur auf besondere Anordnung. Die Gültigkeit der Fahrpläne war nicht mehr festgelegt. So galt auch der Jahresfahrplan 1944/45 bis auf Weiteres, wobei er schließlich mit dem Vorrücken der alliierten Truppen beendet wurde. Im Wesentlichen konnte die Zahl der Personenzüge bis zum Kriegsende beibehalten werden.

 

Besonders im Lokomotiveinsatz kam es immer wieder zu Veränderungen und Verschiebungen. Zahlreiche Lokomotiven wurden in die Ostgebiete abgezogen und durch so genannte "Leihlokomotiven anderer Verwaltungen" ersetzt, wie man damals offiziell die aus den besetzten Gebieten in Frankreich oder Benelux-Ländern abgezogenen Lokomotiven nannte.

Es wurden aber auch noch neue Lokomotiven gebaut. Es waren stark vereinfachte Lokomotiven, die aus den Einheitsbaureihen 44 und 50 abgeleitet waren. Die neuen, so genannten Kriegslokomotiven erhielten die Baureihenbezeichnungen 42 und 52.

So genannte Leihloks und Loks der Baureihe 52 kamen ab 1942 auch verstärkt auf unseren Strecken zum Einsatz. Eine Vereinfachung bestand bei diesen Fahrzeugen im Verzicht auf die sonst üblichen Läutewerke, die benutzt wurden, um die damals noch zahlreichen ungesicherten Bahnübergänge gefahrloser befahren zu können.

Damit es ohne Läutewerke nicht zu  Unfällen durch Zusammenstöße an Überwegen kommen sollte, wurden alle Gemeinden entsprechend informiert und veranlasst, dass die Bevölkerung entsprechend gewarnt werden sollte.

 

Über die Auswirkungen des 2. Weltkrieges im oberen Dörspetal schreibt der örtliche Chronist Rudolf Lehnen:

Am 1. Dezember 1943 fielen die ersten Bomben auf das Oberbergische. Im Stadtgebiet von Gummersbach waren mehrere Tote zu beklagen. Im Februar 1945 wurden neu dicke Eschen an der Bundesstraße 55 in Höhe des jetzigen Sportplatzes gefällt, um als Panzersperren zu dienen. Im März 1945 überschritten feindliche Truppen den Rhein, damit wurde unsere Heimat unmittelbar in das Kriegsgeschehen einbezogen. Am 12. März 1945 fielen elf Bomben über Wiedenest. Mehrere Häuser sowie die Gleisanlagen der Eisenbahn wurden beschädigt, Personen kamen nicht zu schaden. Am selben Tag wurden in Pernze auf der Straße neben der Eisenbahnhaltestelle vier Militärfahrzeuge von Tieffliegern angegriffen. Drei brannten aus, ein Soldat wurde verwundet. In jenen Tagen wurde auch das Krankenhaus in Bergneustadt durch Bomben total zerstört, wobei fast alle Insassen den Tod fanden. Mehre Bomben wurden am 19. März auf einen Güterzug in Höhe der Ortschaft Eiche abgeworfen. Als Ziel diente wohl ein Eisenbahngeschütz, das in diesem Zug mitgeführt wurde. Hierbei fand ein Soldat den Tod.

Ein schwarzer Tag  für den Ort Pernze war der Karfreitag, der 30. März 1945. Kurz vor 16.00 Uhr überflog ein Pulk Flieger aus Richtung Lieberhausen kommend den Ort. Von diesem wurden etwa 300 Bomben über der Klauert und der Hannemicke abgeworfen. Frau Inkemann mit ihrem Kleinkind und Frau Karl Weuste, die sich in ihren Wohnungen befanden, wurden getötet und ihre Häuser zerstört. Wie durch einen aufgenommenen Funkspruch später bekannt wurde, sollte ein bei Hützemert stationiertes Flugabwehrgeschütz Angriffsziel sein. In dem Funkspruch sollen zwei Häuser an der Straße angegeben worden sein. Sie könnten damals jedoch sowohl in Hützemert als auch in Pernze gestanden haben.

Am 11. April bewegten sich die gegnerischen Truppen aus dem Siegerland kommend in Richtung Olpe. Ein Teil von ihnen zog von Eichen bei Olpe in Richtung Iseringhausen über Eckenhagen nach Derschlag, der andere Teil schlug in Wegeringhausen die Richtung Meinerzhagen nach Derschlag ein.

Damit war das gesamte Dörspetal eingeschlossen. Als Zeichen dafür, dass kein Widerstand mehr geleistet würde, flatterten jetzt weiße Tücher aus fast allen Häusern und so kamen am darauf folgenden Tag amerikanische Truppen in das Dörspetal. Für die Bewohner des Dörspetales ging damit das Kriegsgeschehen glimpflich zu Ende.  

 

Ein Chronist beschreibt die Ereignisse aus Olper Sicht:

 

Im 2. Weltkrieg waren der Olper Bahnhof und das Bahnhofsgelände mehrfach das Ziel amerikanischer und englischer Luftangriffe. Die Reihe dieser Angriffe begann am 28. September 1944, als ein Treibstoffzug, bestehend aus 13 Waggons mit je 80.000 Litern Benzin, auf einem Abstellgleis von vier Jagdbombern durch Beschuss in Brand gesetzt wurde und explodierte.

Der Zugverkehr konnte, nachdem man bis in die Morgenstunden gearbeitet und die Schäden notdürftig behoben hatte, am nächsten Tag wieder aufgenommen werden. Im Februar und März 1945 wurden der Bahnhof Olpe und seine Umgebung sowie einzelne Streckenabschnitte in Richtung Bergneustadt einige Male bei Bombenangriffen in Mitleidenschaft gezogen. So war die Bahnverbindung von Olpe nach Eichen auf der Strecke Olpe - Bergneustadt am 20. März 1945 nach dem Abwurf mehrerer Sprengbomben für zehn Stunden unterbrochen. Auch der Abschnitt zwischen Pernze und Wiedenest war nach einem Bombenabwurf oberhalb des Bahnhofs Wiedenest für wenige Stunden lahm gelegt.

Bei Luftangriffen in den folgenden Tagen brannte das Bahnhofsbüro in Olpe aus, das Empfangsgebäude und der Güterschuppen des Bahnhofs wurden leicht und zwei Lokomotiven schwer beschädigt. Als am 28. März 1945 morgens noch einmal ein Angriff auf den Verschiebebahnhof Olpe mit dem Ausweichziel Bahnanlagen Attendorn von 72 amerikanischen und englischen Flugzeugen geflogen wurde, blieben die Bahnanlagen von Olpe und Attendorn wie durch ein Wunder intakt. Wahrscheinlich hatte das diesige Wetter mit schlechter Sicht ein genaues Zielen erschwert. Insgesamt wurden die Bahnstrecken rund um Olpe und ihre Bahnhöfe jedoch vor größerem Schaden bewahrt, so dass der Zugverkehr nach dem Krieg schnell geregelt weitergehen konnte.

 

 

In einem mehrteiligen Beitrag des Mitteilungsblattes Bergneustadt im Blick schrieb der Eisenbahnfreund Horst Kowalski:

 

Im letzten Jahr des zweiten Weltkriegs wurden besonders die ausgedehnten Bahnanlagen des Bahnhofs Dieringhausen mehrmals das Ziel von schweren Bombenangriffen. Eine Sprengbombe hatte sogar die Decke des Fußgängertunnels zu den Bahnsteigen durchschlagen und der Krater erinnerte noch einige Jahre nach dem Krieg an diese schreckliche Zeit. Das Bahnbetriebswerk mit Lokschuppen und Drehscheibe glich einem Schrotthaufen.

Das Bahnhofsgebäude Bergneustadt, das 1937/38 bei einem äußerlichen Umbau unter anderem einen Stellwerksanbau erhielt und völlig verschiefert wurde, sowie die anderen Bahnanlagen, blieben weitgehend von Kriegsschäden verschont.

Mir ist nur ein folgenschwerer Zwischenfall bekannt, von dem ich aus eigener Beobachtung berichten kann:

Eine allein fahrende Dampflokomotive wurde auf der Fahrt von Bergneustadt nach Derschlag von einem Tiefflieger angegriffen. Das Lokpersonal stoppte die Maschine etwa in Höhe der Fabrik Wahlefeld und verließ flüchtend den Führerstand. Kurz darauf setzte  das Flugzeug aus Richtung Bergneustadt in geringer Höhe zu einem  erneuten Angriff an und versuchte, die Lokomotive mit einer Bombe zu treffen. Diese verfehlte jedoch die Lok und schlug etwa 10 Meter vor ihr in das Gleis ein. In den entstehenden Trichter rollte die Lokomotive, die der Baureihe 50 angehörte, dann hinein. Sie musste später gesprengt werden, damit die Strecke wieder instand gesetzt werden konnte.

 

Ein älterer Eisenbahnerkollege erzählte mir Anfang der siebziger Jahre von einem besonderen persönlichen Erlebnis:

 

Im März 1945 hatte ich Dienst als Fahrdienstleiter beim Bahnhof Wiedenest. Erst wenige Tage vorher waren die Schäden einer Bombe behoben worden, die knapp vor der ersten Weiche aus Richtung Pernze im Gleis eingeschlagen und explodiert war.

Vom Nachbarbahnhof Hützemert war ein Güterzug gemeldet worden und ich ging auf den Bahnsteig hinaus, um in dem Stellwerk, einem kleinen Haus aus Wellblech, das Einfahrtsignal auf Fahrt zu stellen. Als ich das Stellwerk wieder verließ, hörte ich den Lärm eines Tieffliegers, der von Pernze her direkt auf mich zuflog.

Geistesgegenwärtig suchte ich Deckung unter den Puffern eines Güterwagens, der am Güterschuppen vor dem stabilen Beton-Prellbock stand. Im gleichen Moment prasselte eine MG-Salve auf das Stellwerksgebäude und in den Schotter des Gleises 1. Nachdem das Flugzeug über das Stellwerk hinweg geflogen war, folgte eine weitere MG-Salve vom Heckschützen des Flugzeugs, der ebenfalls das Stellwerk von der anderen Seite traf. Zum Glück befanden sich auf dem Bahnsteig keine Menschen und ich bin froh, dass ich keine Sekunde später aus dem Stellwerk herausgekommen bin. Der Betrieb wurde durch diesen Zwischenfall nicht beeinträchtigt. Die Wellblechverkleidung des Stellwerks und die innere Holzverkleidung wurde an vielen Stellen durchschlagen und einige Fensterscheiben waren zu Bruch gegangen.

 

Die Einschusslöcher in der Außenverkleidung des Wiedenester Stellwerks sind übrigens nie beseitigt worden. Sie blieben bis zum Abriss im Jahre 1975 stumme Zeugen dieses Ereignisses.

 

Im März 1945 kamen die ersten alliierten Truppen über den Rhein. Am 12. April  wurde schließlich auch das obere Dörspetal von amerikanischen Soldaten besetzt.

Die schwersten kriegsbedingten Schäden hat für diese Gegend der Ort Engelskirchen erlitten. Sowohl der Bahnhof als auch der eigentliche Ort wurden durch Bombenangriffe beinahe vollständig zerstört. Der Bahnhof Dieringhausen war schwer beschädigt, das Betriebswerk vollständig zerstört.

Ebenfalls zerstört wurden die Bahnhöfe Wipperfürth und Volperhausen bei Morsbach. In beiden wurden Munitionszüge beschossen, die darauf hin explodierten und schwerste Schäden anrichteten.

Alle bisherigen Schäden konnten soweit behoben werden, dass der Eisenbahnbetrieb nach kurzzeitiger Unterbrechung weiterlaufen konnte. Das zerstörte Betriebswerk in Dieringhausen wurde kurzfristig und provisorisch in die Lokstation Osberghausen verlegt, wo schon eine Werkstatt existierte, die zeitweise Ausbesserungen an Güterwagen vornahm. Die umfangreichen Gleisanlagen in Osberghausen konnten zeitweise auch den beschädigten Güterbahnhof in Dieringhausen entlasten.

Was die gegnerischen Truppen nicht schafften und vielleicht auch nicht wollten, das erledigten kurz vor dem Ende des Krieges die eigenen Truppen, als sie sich vor den heranrückenden Alliierten zurückzogen.

Gemäß der Parole "verbrannte Erde" sprengten deutsche Pioniere eiligst wichtige Eisenbahnbrücken wie zum Beispiel die Aggerbrücke bei Ehreshoven, die Siegbrücke in Wissen, Brücken über Straßen in Denklingen, Brüchermühle, Bielstein, Niederodenspiel, Kupferberg, Dahlerau und Rösrath und sie sprengten den Eisenbahntunnel zwischen Honrath und Hoffnungsthal.

Die Eisenbahnstrecken waren nun an vielen Stellen unterbrochen. Das Sülztal und der gesamte Südkreis waren vom Eisenbahnverkehr abgeschnitten.

 

Mit dem Ende des 2. Weltkrieges endet der 1. Teil dieser Dokumentation.

Die Fortsetzung ab 1945 finden Sie in Teil 2.       

 

Bahnhof Wiedenest 1946 bis 1965

 

Weitere Unterlagen:

Übersichtskarte DB Betriebsamt Olpe

 

Abfahrtpläne des Bahnhofs Wiedenest

 

© Christoph Marschner    christoph-m@gmx.de